Samstag, 24. Juli 2010

Festgeklebt

Ich sitze hier, wie festgeklebt in einem Leben, das ich nicht mehr will.
Manchmal sage ich, ich will nicht mehr leben. Es ist keine Koketterie mit der alles auflösenden Möglichkeit der Selbsttötung. Das dachte ich eine ganze Zeit, es ist dieses: ich will so nicht mehr leben. Zum Selbstmorden bin ich zu feige, oder vielleicht habe ich einfach noch zu viel Hoffnung, mich doch noch loszulösen von dem zähen Leim mit dem ich an dem klebe, was ich seit Jahren für mein Leben halte. Dann wieder denke ich, Hoffnung ist wenig, zu wenig, denn das was sein müsste, dieses mehr als Hoffnung, ist die Zuversicht.

Mir fehlt die Zuversicht. Die Zuversicht, dass das alles noch mal besser werde könnte. Nicht gut, aber zumindest besser. Anders wird es sowieso, ob ich mich ändere oder nicht. Ich muss mich vielleicht gar nicht ändern, es ändert sich für mich. Wenn ich das glaube, klebe ich weiter fest, an dem, was mein Leben ist.

Was soll ich tun? Wofür mich entscheiden, wenn ich nicht weiß wofür. Soll ich bleiben, soll ich gehen und - wohin gehen? Wohin mit mir? Wohin geht Eine, die kein Ziel hat. Sie geht einfach - ziellos. Der Weg, sagt man, ist das Ziel. Dann kann ich doch jeden Weg nehmen, wenn jeder Weg das Ziel ist. Hauptsache ich gehe.

Nicht das ich keine Ziele gehabt hätte, oder besser Wünsche, Träume, sogar Visionen hatte ich.
Ich habe viel Kraft darauf verwendet diese Visionen zu erfüllen - zu füllen - mit Leben.
Sie sagen, du bist stark, du schaffst das, du hast schon viel mehr geschafft. Es ist Segen und Fluch zugleich, dieses "Du bist stark". Ja, ich bin stark, so stark, dass ich seit Jahren mein Leben lebe, ohne Halt von außen. Ich will nicht mehr stark sein! Hört Ihr?

Ich habe die Liebe verloren, die groß war, größer als mein kleines Leben. So erschien sie mir damals. Und als ich sie verloren hatte, fühlte es sich an, als sei ein Teil von mir verloren. Es fehlte etwas, noch immer fehlt etwas. Der Teil von dem ich glaubte, er macht mich komplett. Ich war es nie, denn kein anderer macht uns komplett. Schon der Gedanke, der Wunsch danach bedeutet, dass wir es nicht sind. Heute weiß ich, nur wer in sich selbst komplett ist kann lieben. Das Andere ist Anhaftung. Ich will aber anhaften. Trotzig wie ein Kind will ich das wieder haben. Und ich weiß doch, dass es verloren ist. Und weiß, dass das, was nicht zu uns gehört abfällt. Das was zu uns gehört bleibt.

Abfallen ... ein Bild des Loslösens, ein sanftes Bild, das Bild von einem trocken gewordenen Blatt, das im Herbst vom Ast eines Baumes segelt. Wer nimmt dieses einzelne Blatt wahr. Ich habe es wahrgenommen. Früh, schon als es am Vertrocknen war, noch grün, aber schon nicht mehr satt im Grün, verblassendes Grün. Noch später ging es ins Bräunliche über. Ja, ich habe es wahrgenommen, dass meine Liebe am Vergehen war. Und es tat weh. Es tut weh, noch immer tut es weh. Ich will, dass das Wehtun aufhört. Trotzig wie ein Kind und ungeduldig will ich das. Weil es weh tut klebe ich an meinem alten Leben. Das Wehtun ist der Leim, das einzige was mich mit dieser Liebe noch verbindet. Also will ich dass es weh tut. Loslösen bedeutet diese Liebe aufgeben, das Wehtun von Liebe aufgeben und damit die Anhaftung an eine Vorstellung von Liebe. Ich weiß es und kann nicht danach handeln. Wissen bringt keine Veränderung, wenn wir das Wissen nicht fühlen, wenn der Verstand nicht dem folgt, was das Herz längst weiß, nützt unser Wissen um die Dinge nichts.

Jetzt sitze ich hier und klebe an einem Vergangenen. Unfähig an ein Jetziges auch nur zu denken sperre ich aus was ist und sehe nicht was sein könnte. Manchmal hoffe ich ohne Zuversicht, dass mich einer da wegzieht, oder ein Etwas. Und klebe weiter. Der Eine und das Etwas interessieren sich nicht für mich. Vielleicht weil ich mich zu sehr für mein Wehtun interessiere. Wer interessiert sich schon für Eine, die nur das Wehtun interessiert. Das müsste Einer sein, der das Wehtun kennt und es nicht fürchtet, weil er es kennt. Aber wenn er es kennt, weil er es kennen gelernt hat, will er es sicher nicht wieder kennen lernen.

Ich verstehe das. Und nehme es keinem übel. Ich nehme es mir selbst übel. Ich bin das Übel, weil ich es mir selbst schaffe. Auch das weiß ich, wie ich so vieles weiß und ich weiß nicht, warum ich nicht weiß, wie ich mit all dem Wissen endlich die Los Lösung schaffe.

Und ich sitze immer noch hier, wie festgeklebt an einem Leben, das ich nicht mehr will.