Dienstag, 17. August 2010

Harald interessiert sich nicht für Geschichten

"Es gibt viele Geschichten. Die meisten davon interessieren mich nicht." Er grinste ihr ins Gesicht. Sie verachtete ihn, wie er da saß, selbstgefällig und von sich überzeugt, überzeugt davon, dass er sie beeindruckte. Sie hatten sich im Zug auf der Fahrt von Berlin nach Frankfurt kennen gelernt. Er hatte sie angesprochen. Sie hatten sich unterhalten bis der Zug in Frankfurt einfuhr. Normalerweise redete sie mit niemandem, sie las lieber oder sah aus dem Fenster. Jana sah gerne aus dem Fenster. Sie mochte die Bewegung der vorrüber ziehenden Außenwelt. Sie gab ihr Augenblicksgewissheit.

Ausnahmsweise war sie offen gewesen für das, was von außen kam, sonst hätte sie ihn abblitzen lassen. Er war charmant, aber nicht ihr Typ. Er war klein, das sah man schon wenn er saß, und schmal. Aber er hatte schöne Augen und schöne Hände. Sie erinnerten sie an die Hände eines Jungen. Sie mochte Männer, die etwas Jungenhaftes an sich hatten. Es erinnerte sie an Tom. Das mit Tom war vorbei. Sie hatte ihn nicht mehr ertragen, seine Sucht, die ihn immer mehr veränderte, ihn unberechenbar und aggressiv machte. 

Tom hatte ihr wieder und wieder geschworen mit dem Zeug aufzuhören. Er konnte nicht aufhören. Es war nichts mit Tom und nichts ohne Tom und sie kam nicht mehr mit sich selbst zurecht. Sie war zu lange für Tom da gewesen, wusste nicht mehr wer sie war und was sie wollte.

„Vielleicht interessiert mich ihre Geschichte ja, na los erzählen sie mal,“ unterbrach der Mann ihre Gedanken. Er hieß Harald. Ein altmodischer Name, der egal wie man ihn betonte, hart klang. Er passte zu ihm. Harald, in diesem Falle konnte man sagen nomen est omen. Sie musste innerlich lachen. Am Liebsten hätte sie ihm ins Gesicht gelacht. „Ich habe sie schon oft erzählt, sagte sie, „wenn man eine Geschichte oft genug erzählt hat, verliert sie an Bedeutung.“ „Na, vielleicht haben sie ihre Geschichte deshalb auch so oft erzählt, weil sie sie nicht los werden wollen.“
 
Er kam sich schlau vor. Sie hätte sich nicht mit ihm verabreden sollen. Er begann sie zu langweilen. In letzter Zeit langweilten sie die meisten Menschen. Es war schwer sich das selbst gegenüber zuzugeben, weil es arrogant war, außerdem machte es einsam. „Besser allein als in schlechter Begleitung,“ dachte Jana und nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas. Sie hätte sich gerne eine Zigarette angesteckt. Im Lokal war Rauchen verboten. Auch ein Grund, warum sie immer seltener ausging.

Früher war sie gern in ein Café gegangen, hatte sich einen Milchkaffee bestellt, geraucht und die Leute beobachtet. Ohne Zigaretten machte ihr das Ausgehen keinen Spaß. Gut, sie war auch süchtig, aber ihre Sucht veränderte nicht die Persönlichkeit. Tom hatte irgendwann eine Art Paranoia entwickelt, überall sah er Angriffe und Feinde. Jana wurde mit der Zeit seine größte Feindin. Er warf ihr seinen ganzen Frust hin, beschimpfte sie und machte sie dafür verantwortlich, dass keiner seine Bilder haben wollte. Sie wusste, dass sie keine Schuld daran hatte, die Bilder waren depressiv und dunkel wie Toms Seele. So was hing sich keiner an die Wand. Irgendwann sagte sie es ihm. Das war wohl ihr größter Fehler gewesen. Er schrie sie an, warf ihr vor, sie glaube nicht an ihn und zog sich in sich selbst zurück. Sie ließ ihn eine Weile schmollen, dann ging sie wieder zu ihm, weil er ihr fehlte. Er schien froh sie wieder zu haben. Aber bald machte er wieder sein beleidigtes Gesicht und versank im Marihuana Rausch. Es war sinnlos, Tom würde sich niemals ändern. Am Ende hat er sie geschlagen und auf die Straße vor seine Wohnung getreten. 

Hätte sie Harald diese Geschichte erzählen sollen? Einer wie er hatte keinen Begriff von einem Leben, das nicht sauber und ordentlich strukturiert war. Geschichten wie ihre kannte der allenfalls aus einem Film im Fernsehen und da hätte er garantiert weiter gezappt.

Was sollte sie mit diesem Mann reden, was hatte sie mit ihm gemeinsam, was auch nur einen Satz lohnte. Jana rutschte unruhig auf dem roten Kunstledersessel hin und her. Der Sessel machte ein quietschendes Geräusch. „Morgen fahre ich zu meinen Eltern, Ostern feiern. Sie wissen schon, die Feiertage und die familiären Verpflichtungen. Aber meine alte Mutter freut sich immer, wenn ihr erfolgreicher Sohn sie besucht. Meine Geschwister haben es bis heute nicht wirklich zu was gebracht. Sind halt normale Arbeitnehmer, haben keinen Ehrgeiz. Ich bin Mamas ganzer Stolz. Na, ich gönn ihr die Freude.“ Er lachte jovial. Fehlte nur noch, dass er sich vor lauter Stolz wie King Kong auf die Brust klopfte.

Sie dachte, Arschloch, und lächelte künstlich. Sie hatte keine familiären Verpflichtungen. An Ostern würde sie ausschlafen, lesen, vielleicht ins Kino gehen und sich einen guten Film ansehen. „Sie sind so still. Sagen Sie mal, hab ich sie eingeschüchtert, weil ich gesagt habe, dass mich die meisten Geschichten nicht interessieren?“ Er nahm ihre Hand und drückte sie leicht. Seine Hände waren zart und weich. 

Jana wünschte sich, dass er endlich den Mund hielt, sie mit zu sich nach Hause nahm und sie überall berührte mit diesen Händen. Aber das wollte er nicht, er wollte sie kennen lernen. Sie hätte ihm sagen können, dass er sie als Mensch nicht im Geringsten interessierte, dass sie mit ihm vögeln wollte, sonst nichts. Jana wollte mit keinem Mann etwas anderes als Sex. Wenn es vorbei war würde sie gehen, zurück in ihre Wohnung, baden und im Bett ein Buch lesen, bis sie einschlief.

„Sie sind schön, wissen sie das?“ Er ließ ihre Hand wieder los. „Sie nicht, wissen sie das?“ die Worte lagen ihr auf der Zunge. „Ich muss jetzt eine rauchen.“ Sie suchte in ihrer Handtasche nach der Zigarettenschachtel. “So schlimm ist es mit der Sucht, na gut dann begleite ich sie nach draußen.“ Sie wollte nicht begleitet werden, aber sie wollte nicht unhöflich sein, also nickte sie kurz und lief Richtung Ausgang. Draußen war es kalt, sie ärgerte sich, dass sie ihren Mantel nicht übergezogen hatte, aber das hätte es noch umständlicher gemacht. Das Rauchen in der Öffentlichkeit war schon umständlich genug geworden. „Darf ich ihnen Feuer geben?“, fragte er, ganz Gentleman. Sie schüttelte den Kopf. „Ich zünde sie mir gern selber an.“ Gelangweilt blies sie den Rauch in die kalte Luft. Das würde nichts mehr werden heute Nacht. Harald hatte kein Feuer im Leib. In seinen Adern floss kühler Pragmatismus. 

Tom hatte gebrannt, sie hatten gebrannt und am Ende waren sie verbrannt. Sie wollte zu Tom, jetzt sofort, in seine Arme, seinen Mund küssen, ihn fühlen. Aber sie stand auf der Strasse, Seite an Seite mit einer lächerlichen Figur, die sich für einen Mann hielt und keine Ahnung hatte was das war. Jana nahm einen letzten tiefen Zug an ihrer Zigarette und blies ihm den Rauch ins Gesicht. Er hustete. „Ich hab früher auch geraucht, aber dann hab ich von einem Tag auf den anderen aufgehört, jetzt fühle ich mich fitter. Verstehen sie mich nicht falsch. Es wäre natürlich gesünder für sie aufzuhören. Aber, es macht mir nichts aus, wenn sie rauchen.“ „Schön für dich,“ dachte Jana, und dass es ihr scheiß egal war, ob sie er sich fit fühlte und ob es ihm etwas ausmachte, dass sie rauchte.

Jana dachte an das Glasperlenspiel von Herrmann Hesse, das auf ihrem Nachtisch lag und das sie lesen würde, wenn sie zu hause war. Sie mochte Hesse. Seine Bücher gaben ihr das Gefühl, dass es Menschen gab, die ihre Sprache sprachen. Sie bedauerte, dass Hesse längst tot war, sonst hätte sie alles versucht um ihn persönlich kennen zu lernen. Sie tröstete sich damit, dass sie ihn im Himmel treffen würde, wenn sie tot war. „Können wir wieder rein gehen?“ Er machte den Versuch seine Arme um sie zu legen. Sie schüttelte ihn ab. „Ja, gehen wir“, sagte sie und warf die Kippe auf die Strasse.
Jana setzte sich und winkte den Ober an den Tisch. „Noch ein Glas Weißwein, bitte.“ „Für mich das Gleiche,“ echote Harald. „Ja, meine Schöne, wie ich sehe haben wir denselben Weingeschmack. Das ist doch ein Anfang, oder nicht?“ Jetzt will er sich wohl über Anfänge unterhalten, dachte Jana und antwortete: „Mir ist es egal welchen Wein ich trinke, er muss nur trocken sein.“ So trocken wie Du, dachte sie und dass sie ungerecht war, aber es war ihr gleichgültig, so gleichgültig wie dieser Harald, der ihr gegenüber saß und versuchte nett zu sein. 

„Wissen Sie, ich werde nicht schlau aus ihnen, sie sagen kaum etwas und ihre Augen sind so traurig. Im Zug war das anders. Kann ich ihnen irgendwie helfen?“ Irgendwie, dieses Irgendwie, das klang so wie eigentlich, nichts Eindeutiges. Es passte zu ihm. Es passte genauso zu ihr. Sie wollte sich nicht mehr verbinden, schon gar nicht an etwas binden. Sie wollte vergessen, und sich ein Leben suchen, irgendeines in dem es Tom nicht einmal mehr in ihren Gedanken gab. Tom war etwas Besonderes gewesen. Das Besondere schlägt das Allgemeine, dachte Jana, und dass es leider genau umgekehrt war.

Der Ober brachte den Wein. Mit einem Zug trank sie das halbe Glas aus. Eine Weile schwiegen sie. „ Mal ehrlich, als ich sie im Zug traf, dachte ich, was für eine tolle Frau, die leuchtet richtig. Aber mir scheint ihr inneres Licht schwindet mit der Sonne. Warum sonst sind sie abends so?“ Jana sah ihn an, suchte nach Worten, entschied, dass es keine gab. Sie stellte ihr Glas auf den Tisch, stand langsam auf, nahm ihren Mantel und verließ das Lokal ohne sich noch einmal umzudrehen. Auf dem Nachhauseweg dachte sie an die Geschichten, die sie nicht interessierten und an Männer wie Harald, die nicht einmal merkten wenn eine Geschichte interessant war.

Samstag, 14. August 2010

tag

vormittag
dinge begonnen
sie nicht zu ende geführt
wie alles

nachmittag
es klingelt an der tür
sie bleibt verschlossen
ich will nichts vom draussen

abend
den tag vergehen gelassen
der dämmerung zusehen
nichts denken
nichts fühlen
geht nicht




Alle

Ich stehe in der Schlange am Wurststand. Würstchen sind ungesund, aber ich habe heute Lust auf etwas Ungesundes. Es ist immer noch August und die Sonne wärmt zwischen einem kühlen Wind meine Haut. Drei Leute sind vor mir. Außer der Tatsache, dass mein Fuß weh tut, wenn ich lange stehen muss, ist es mir egal wie lange ich warten muss. Ich habe Zeit in diesem Sommer.

Ein dicker kleiner Mann mit Schnurrbart ist an der Reihe. „Ich kann mich nicht entscheiden,“ meint der Mann. „Sag Du, welche soll ich nehmen?“ Er schaut die Frau an, die seitlich neben ihm steht. Auch sie ist klein und dick. Entschlossen beißt sie in ihre Leberkässemmel. „Weiß ich doch nicht, was Du willst.“ Der Mann schweigt einen langen Moment, steht da, immer noch unschlüssig. „Einen Moment noch“, bittet er die Wurstverkäuferin. Die lächelt verkniffen, die Wurstzange in der erhobenen Hand wie eine Waffe.

Die Schlange wird langsam unruhig. Ein grauhaariger älterer Herr mit einem mäßig intelligenten Gesichtssausdruck sieht mich an, schüttelt genervt den Kopf nach Verbündung suchend. „Mensch mach mal, Alter, ich hab Kohldampf“, raunzt der Jugendliche vor mir den kleinen dicken Mann an.

Auf den Wangen über dem Schnurrbart des Mannes verteilen sich rote Flecken. „Sagen sie mir, was essen denn die Meisten hier“, fragt er die Wurstverkäuferin. „Na die nehmen die Rote. Die Rote ist die Beste. Nehmen sie die Rote, die is so gut, da wird ihre Frau neidisch. „Ja, dann die Rote, sagt der Mann, „ ... wenn Alle die nehmen.“

Fremd

Ich stehe auf
wie jeden Morgen und wasche mein Gesicht
Zwischen Wassertropfen sehe ich in den Spiegel
und bin mir fremd

Ich erkenne mich nicht wieder
bin nicht die, die ich war
ich kann mich auch in meiner Biografie nicht spiegeln

Ich gehe zum Bäcker weil Samstag ist
Ich will etwas Normales in mein Leben holen
in mein Leben, das nicht mehr normal ist

Wieder zu Hause trinke ich Kaffee und esse ein Brötchen.
Kauend suche ich Möglichkeiten
mich wieder zu erkennen.

Donnerstag, 12. August 2010

Erinnerung an Erich Fromm - Über Haben und Sein

Wir leben in einer Gesellschaft die sich vollständig dem Besitz und dem Profitstreben verschrieben hat. Aus diesem Grunde sehen wir selten ein Beispiel der Existenzweise des Seins, weil sich die meisten Menschen auf die Existenzweise des Habens richten.

Diese auf das Haben ausgerichteten Menschen verstehen die Existenzweise des Seins nur sehr schwer. Sie sind nicht fähig zu erkennen, dass das Haben eine reine Orientierung am Dinglichen ist, dem scheinbar „Wert“ vollen, wie Geld, Besitz, beruflicher Erfolg und Macht.

Ein sogenannter „Habentypus“ wird durch neue Ideen oder Gedanken beunruhigt. Für ihn sind solche Gedanken ein Angriff auf sein „Habensystem“ und damit bedrohlich.

Während sich der „Habenmensch“ auf das verlässt, was er hat vertraut der „Seinmensch“ auf das, was er ist.

Im Gegensatz zum „Habentypus“ nimmt ein Seinsmensch die Exstenz nicht passiv auf, er antwortet auf aktive und produktive Art und Weise auf das, was ihm begegnet. Sein Denkprozess wird dadurch angeregt und es tauchen neue Fragen oder Perspektiven auf.

In unserer Gesellschaft gilt ein Schüler der am genausten wiederholen kann was der Lehrer gesagt hat, als guter Schüler. Ein Schüler, der hinterfragt, wird als unbequem, im Zweifel als renitent wahrgenommen.

Individualität ist schon in den Schulen eine Gefahr für das Funktionieren der Masse.

Ein Mensch in der Existenzweise des Seins kann zum Entschluss kommen, dass das schlaueste Buch, mehr oder weniger wertlos ist. Ein Mensch des Seins hinterfragt allgemein anerkanntes Wissen, Normen und Regeln. Er wagt Neues, ohne zunächst den monitären Erfolg zu beachten. Der Haben - Mensch kalkuliert immer nach seinem Nutzen.

Ein weiteres Beispiel für den Unterschied der Existenzweise des Habens und des Seins zeigt sich in der Art und Weise wie Autorität ausgeübt wird.

Der wesentliche Punkt ist, ob man Autorität hat oder eine Autorität ist.

Autorität, die auf der Existenzweise des Seins beruht basiert nicht auf der Fähigkeit bestimmte gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen. Sie beruht auf der Persönlichkeit eines Menschen, der ein hohes Maß an Selbstverwirklichung, Individualität und Integration erreicht hat. Ein solcher Mensch strahlt Autorität aus - ohne zu drohen oder Befehle erteilen zu müssen.

Die Inhaber der Haben - Autorität müssen die Menschen von ihrer Wahrheit und ihren Regeln überzeugen, das heißt sie sind bestrebt kritisches Denkvermögen zunichte machen. Die fiktive Wahrheit an die sie glauben, macht sie für die Möglichkeiten anderer Wahrheiten blind.

Der Unterschied der beiden Existenzweisen im Bezug auf Wissen drückt sich in den Formulierungen „ ich habe Wissen" und „ich weiß“ aus.

Wissen zu haben, heißt - verfügbares Wissen zu erwerben. Wissen, im Sinn von „ich weiß“, ist ein Teil des individuellen produktiven Denkprozesses. Wenn ein Mensch in der Weise des Seins lebt, wissen wir, was Buddha, Jesus, Sigmund Freud oder Karl Marx vertreten haben.

Wissen beginnt mit der Erkenntnis der Enttäuschungen und unserem eigenen Menschenverstand. Wissen bedeutet den Ursachen für Enttäuschung auf den Grund zu gehen. Wissen bedeutet nicht Besitz von Wahrheit sondern kritisch und tätig nach größeren Annäherungen an die Wahrheit zu streben. Allen Denkern und Forschern ging und geht es um das Heil der Menschen. Für sie ist das Ziel des Wissens nicht die Gewissheit der absoluten Wahrheit.

Das Ziel der Existenzweise des Seins ist tieferes Wissen, das Ziel der Existenzweise des Habens ist mehr Wissen. Die Schulen sind die Fabriken in denen diese Wissenspakete produziert werden. Auch der Glaube an sich selbst, an den anderen, an das, was der Mensch sein könnte, beeinflusst die Gewissheit, jedoch ist dies eine Gewissheit, die auf die eigene Erfahrung zurückgeht.

Zum Schluss: Kann man Liebe haben?

Wenn man das könnte, wäre Liebe ein Ding, eine Sache, eine Substanz. Die Wahrheit ist, dass es kein Ding wie Liebe gibt. Liebe ist eine Abstraktion. Es gibt nur den Akt des Liebens an sich.

Liebe ist einfach.

Wird Liebe in der Weise des Habens erlebt, bedeutet dies das Objekt das man „liebt“, besitzen zu wollen, es zu verändern zu wollen, es zu kontrollieren

Menschen des Seins und Menschen des Habens sind immer Gegner.

Klug wäre es jedoch sich zu Verbündeten zu machen, damit der Eine vom Anderen in einer konstruktiven Weise lernen kann.

Der Haben Mensch jedoch kann das nicht zulassen. Denn Haben bedeutet immer das, was man hat, festhalten zu müssen. Nichts ist für den Haben Menschen bedrohlicher als die Vorstellung nur das Geringste seiner „Habe“ zu verlieren. Das Sein ist im gänzlich fremd, da er sein „in der Welt sein“ fast ausschließlich über seinen Besitz definiert und sich nur so als Mensch erfährt. Nimmt man ihm was er hat, hat er nichts mehr.

Nimmt man dem Seinsmenschen was er hat, hat er immer noch sich selbst.


Sonntag, 8. August 2010

Don Juan, eine Betrachtung

Don Juan, Mischtechnik 2015


Don Juanismus ist weiter verbreitet als man glauben möchte. In einer dem Narzissmus verfallenen Gesellschaft ist er das Synonym für eine egoistische, narzisstische Verführungssucht, derer, die sich selbst bespiegelnd im anderen lieben.
Don Juan ist eine tragische Figur. Seine Tragik liegt im Steckenbleiben in der Selbstbewunderung. Don Juan sucht die Bestätigung der eigenen Attraktivität und Bewunderung durch ständig wechselnde Partnerinnen, er ist zu stabilen Beziehungen zu leben. Dadurch entstehen innere Leere und Langeweile. In Don Juans Wegwerfbeziehungen wird die Sexualität ihrer kommunikativen Funktion entkleidet und zur bloßen Befriedigung seiner sexuellen Triebe. Seine rastlose Suche nach Bestätigung ist eine Kompensation der bodenlosen Einsamkeit durch immer neue flüchtige Liebesabenteuer. Dieses Verhalten führt mit der Zeit zum Verlust der Moral und des Gewissens. Die rein sexuellen Beziehungen bestärken den Mann zwar in seiner Männlichkeit, doch verachtet er die Frauen dafür, dass es ihm immer wieder aufs Neue gelingt sie zu verführen.

Solche Männer sind oft realitätsfremd, naiv, kindlich und verträumt. Wichtig sind ihnen die Illusion ewiger Jugend und die Vermeidung von Verantwortung. Don Juan hat Angst vor dem Endgültigen.
Don Juan skizziert sich auf drei Ebenen:
-    der berechnende Sucher
-    der gebeutelte Suchende
-    der verbitterte Zerstörer

Wie weit geht Don Juan um sein Ziel zu erreichen?
Wie ist seine Natur?
Was ist sein Ziel?
Was ist sein Motiv?
Was ist seine Strategie?
Was ist der Mythos?

Natur und Ziel
Don Juan ist ein unabhängiger Mensch, den nichts und niemand binden kann und für den Stillstand mit Tod gleichzusetzen ist. Konstanz und Dauer sind nicht seine Sache, er sucht die Herausforderung in wechselnden Abenteuern. Diese Unabhängigkeit ist die eine Seite seiner Natur. Die andere Seite ist seine Skrupellosigkeit. Er betrachtet Frauen als „Objekte“ und genauso behandelt er sie auf dem Weg zu seinem Ziel. Dieses Ziel ist von Besessenheit nach Eroberung gekennzeichnet. Don Juan erobert wahllos, um des Eroberns willen. Das Ziel ist also nicht die eroberte Person, sondern die Jagd und das Erzwingen seines Willens. Je größer die Hindernisse, desto größer sein Sieg. 
Don Juan lässt sich immer wieder aufs Neue faszinieren. Im selben Moment, in dem er ein neues Opfer für seinen triebhaften Eros gefunden hat, ist das Vergangene vergessen. Sein Denken ist auf Zukunft ausgerichtet. Die Welt des Don Juan ist allein von seinem Ego beherrscht. Nichts anderes hat eine Bedeutung. Er ist ein von egozentrierten Motiven beherrschter Mensch, für den die Gesetze von Moral nicht gelten. Seine Welt besteht aus dem Augenblick, der bereits die Zukunft in sich birgt und diese ist nicht vom Wunsch nach Dauerhaftigkeit geprägt, ebenso wenig wie seine Beziehungen. 
Seine Beziehungen sind der Spiegel seines Inneren. Sobald er eine flüchtige Beziehung eingeht existiert die andere nicht mehr. In Don Juans Welt gelten nur seine Waffen mit denen er es immer wieder schafft Eindringlingen, die mit seiner Welt nichts zu tun haben, Paroli zu bieten. Daher hat er keinen Bezug zu einer Familie oder zu Freunden. Er ist ein Einzelgänger, ein einsamer Jäger, der sich vor Irritationen, die seine Jagd stören könnten, wie tiefe Bindungen, hütet und sie vermeidet. Don Juans Waffe ist die Kommunikation, er lebt von den Worten und vom Beenden derselben. Am Ende ist Schweigen, Ignoranz und das Verlassen des Schauplatzes, das Entwerten dessen, was das verletzte Gegenüber sagt. Es besteht eine tiefe innere Weigerung sich mit einer Sache dauerhaft auseinanderzusetzen.
Don Juans Strategie 
Don Juan ist ein Schönredner. Mit Worten verherrlicht er sein Gegenüber. Er holt es mit Schmeicheleien, Überhöhungen und Versprechungen aus seiner Welt heraus und malt ihm die große Liebe in den buntesten Farben aus. Er schlüpft in die Rolle des Retters aus der Monotonie eines normalen Lebens.
Die Frauen und Don Juan
Nachdem eine Frau einmal diese, seine Welt, betreten hat gibt es nichts mehr was sicher ist. Die Werte der „normalen“ Welt verlieren ihre Gültigkeit. Ein Zurück nachdem er sie fallen lässt, lässt ihre normale Welt leer und unerfüllt erscheinen. Das Gefühl seiner Opfer - das Höchste an Liebe erlebt zu haben - verhindert das sich wieder Abfinden mit der Normalität. Die Frau ist aus der normalen Welt herausgefallen, sie ist verwirrt, instabil, bezugs- und orientierungslos. Dazu kommt die Scham einer Täuschung erlegen zu sein und das bittere Erkennen einer Lüge anheim gefallen zu sein. Sie begreift den Verrat der eigenen Gefühle von Liebe, die missachtet und entwertet wurde. Sie wird sich schmerzhaft bewusst, dass sie nicht die Schönste, die Begehrenswerteste und nicht die große Liebe des ewigen Verführers ist.
Die Erfahrung mit Don Juan lässt ein Weltbild ins Wanken kommen. Sie macht die Illusion eines weiblichen Selbstbildes zunichte, das durch Don Juan künstlich und bewusst erhöht wurde - mit dem Ziel es am Ende zu zerstören. Was bleibt ist ein Misstrauen gegen das Männliche schlechthin. Don Juan zerstört den Glauben an das eigene Selbst der Frau, den Glauben an die Wahrhaftigkeit und an die Liebe.
Don Juan und die Schuld
Don Juan verführt und lockt die Frauen mit Versprechungen, unterschlägt aber, dass sie keine dauerhafte Gültigkeit haben. Er handelt mit Vorsatz, ohne Rücksicht und Empathie und nimmt die Zerstörung weiblicher Seelen billigend in Kauf.
Das ist der Punkt, wo Don Juan sich schuldig macht. 
Der verbitterte Zerstörer
Wie viele Menschen ist Don Juan ein Suchender nach dem Ideal endlicher Befriedigung. Er sucht, was Leben ausmacht, in den Frauen. Dabei will nicht hinnehmen, sondern nehmen. Eine Suche, die enttäuscht wird, mit jeder neuen Erfahrung einmal mehr. Er fordert das Schicksal heraus, aus Bitterkeit, weil ihm sein Wunsch versagt bleibt, seine Sehnsucht unerfüllt bleibt. Er muss zerstören aus Verachtung für die Menschen und für Gott, die ihm seinen Wunsch nicht erfüllen. Doch diese dämonische Besessenheit macht ihn nicht abstoßend. Vielmehr macht der tiefe Schmerz, die Enttäuschung und seine Leidenschaft das aus, was die Frauen in ihrer Sehnsucht nach Liebe anzieht. Don Juan ist der Spiegel für ihre eigene Enttäuschung. Er ist der Resonanzboden auf dem ihre ungelebten Sehnsüchte schwingen und das macht ihn begehrenswert. Don Juan zieht genau diese sehnsüchtigen Frauen an und entzündet ihr Feuer mit seiner Sinnlichkeit. 
Er ist ein Dämon in der Gestalt eines Retters. 
Don Juan und die Worte
Die Kraft und die Magie Don Juans liegen im Wort. Er benutzt jedoch Stereotypen und meint sie nicht ernst. „Don Juan gibt nichts, am allerwenigsten sein Wort.“ (Aus Moliere „ Don Juan ou le festin de Pierre“). Er benutzt Worte so, dass sein Gegenüber das Imaginäre seiner eigenen Illusionen wieder erkennt und sich ihnen hingeben kann. Durch seine Worte wird er zum Mittler und reißt sämtliche Widerstände ein. Er ist ein Gaukler, der der Frau den Spiegel der eigenen Sehnsucht vorhält. Doch dieser Spiegel wird am Ende zum Zerrspiegel. „Die Menschlein um in herum sind nur aufgestellt zu seiner Lust...“ ( Aus E.T.A Hoffmann, Don Juan) 
Das Ende des Don Juan
Don Juan bekommt vom Schicksal eine Chance. Er begegnet Donna Anna. Doch er erkennt das positive Lebensgeheimnis, das ihm in Gestalt dieser letzten Frau offenbart wird, nicht. „In Ihr begegnet ihm auf den Flügeln der Kunst das ewig Weibliche, und als Inbegriff des Menschlichen und somit des Göttlichen erschließt ihm diese Begegnung das Reich des Geistes, jenes Wunderland, dahin schon immer seine Sehnsucht ging.“ (Aus George Byron, Don Juan).
Don Juan gelingt es nicht, als Donna Anna zu seiner Erlösung auftaucht, seine Jagd zu beenden. Er verspielt die letzte Möglichkeit von Liebe. Don Juan ist verbittert. Er kann nicht gerettet werden und verblasst als bemitleidenswerter Rächer.  
Der Mythos Don Juan
Seinem Mythos zufolge ist Don Juan trotz allem ein Genie. Und wie bei allen Genies schwingt die Tragödie mit. Er hat keine Angst vor der Zukunft. Sein Denken ist geradezu auf Zukunft ausgerichtet und nur wenig kann ihn überraschen. Am Ende jedoch liegt das Scheitern, weil das Herausfallen des Menschen aus der ihn umgebenden Welt nur in der Selbstzerstörung enden kann, denn die Welt ist ein Teil des eigenen Ganzen. Spaltet das Individuum die äußere Welt ab, spaltet es einen Teil von sich selbst ab. Wie immer führt das Abspalten einzelner Teile unweigerlich zur Zerstörung des ganzen Menschen.  
Don Juan erkennt nicht, dass Lügen einsam machen. Indem er andere belügt, stößt er sich selbst in die schrecklichste Einsamkeit. Don Juan glaubt nicht an die Liebe. Er sucht sein Glück in der vergänglichen Verliebtheit. Er liebt das Leben in seiner Unvollkommenheit. Doch scheitert er letztlich nicht daran, sondern an der Unfähigkeit seine eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren.
Das wovor wir uns am meisten fürchten ist das, was uns letztlich zerstört.


Donnerstag, 5. August 2010

Loslassen

Loslassen
wahre Bedürfnisse erkennen
Vertrauen lernen
Erwartungshaltungen lassen
alles fließen lassen
dem Anderen sein Anderssein lassen
Anerkennen was ist

Das Heischen nach Glanz ist der Fallstrick ins Dunkle
Durch den Blick auf das Wesentliche erfasse ich das Ganze

Alles kann, nichts muss...

Dienstag, 3. August 2010

Casanova





Ich sitze in der Ecke auf dem einzigen bequemen Sessel in Toms Atelier, schaue gelangweilt aus dem Fenster auf das Biebricher Rheinufer und bin schon beim das vierten Glas Wasser. Vor zwei Monaten habe ich beschlossen keinen Alkohol mehr zu trinken, weil er mir nicht gut tut und weil ich schon zu viele Zigaretten rauche, die meinem Körper Ungutes zu tun. Irgendwie tut das Wasser trinken auch nicht gut, vor allem wenn die anderen sich mit Wein und Bier zuschütten und ich ihrem Alkoholgutelaunegerede so gar nicht folgen kann. Über Blödsinnigkeiten lachen gelingt mir sowieso nicht, das klappte auch nicht als ich noch mitgetrunken habe. Party Small Talk inspiriert mich auch mit Alkohol nicht wirklich, also ist es eigentlich egal, ob ich Wasser oder Wein trinke, wobei, Wein schmeckt besser. Ich sitze also da und denke über den Wein nach, den ich nicht mehr trinke und langweile mich, was ich gar nicht leiden kann.

Weil ich nichts Besseres zu tun habe beobachte ich den schönen Pascal, den alle Mr. Nespresso nennen, weil er George Clooney verblüffend ähnlich sieht. Er ist ein paar Jahre jünger als Clooney, aber das schadet ja nichts. Pascal, alias Clooney, sitzt wie ich etwas verloren herum und wie ich trinkt er Wasser. Ich kenne Pascal schon eine ganze Weile. Er ist Ingenieur und arbeitet nebenbei als Model. Ich finde Pascal durchaus attraktiv, aber nicht spannend genug um mich näher mit ihm zu befassen. Wenn wir uns begegnen sagen wir uns ein freundliches Hallo und damit ist es dann auch schon gut.

Meistens ist Pascal allein unterwegs. Da er sich angeblich über Frauenmangel nicht beklagen kann, das sagen jedenfalls Tom und die Anderen, wundere ich mich jedes Mal, dass der Frauenüberfluss in seinem Leben in der Öffentlichkeit nicht sichtbar ist. Pascal ist eine one man show, und das immer und überall, jedenfalls überall wo ich auch bin.

Ich langweile mich immer noch. Langeweile hat die Eigenschaft, dass sie seltsame Blüten treibt. Bei mir jedenfalls ist das so. Ich mache dann Dinge, die ich in einem anderen Gemütszustand nicht einmal andenken würde. Soll ich oder soll ich nicht, überprüfe ich mich und werfe, ob meiner Unentschiedenheit, einen Blick auf die Uhr, die an der Decke von Toms Atelier hängt. Tom hat eine Vorliebe für ausgefallene Hängungen, nicht nur was seine Fotografien angeht. Ich registriere es ist erst neun Uhr, entschieden zu früh um nach Hause zu gehen.

Also Pascal, entscheide ich, erhebe mich vom Sessel, gehe direkt auf ihn zu und setze mich neben ihn. Überrascht schaut er mich an und schüttelt den Kopf: „Du gibst mir die Ehre?“ Ich lächle freundlich in sein ungläubiges Nespresso Gesicht um ihn nicht zu verschrecken: „Warum nicht, wir langweilen uns scheinbar beide.“ Pascal sagt einen langen Moment nichts. Er denkt nach, sichtbar. „Weißt Du, ich bin so verdammt müde.“ Leicht irritiert von seinem Bekenntnis, hole ich eine Zigarette aus der Schachtel, in Tom´s Atelier darf der Mensch noch rauchen und muss nicht draußen bleiben, und lasse mein Zippo aufschnappen. Ganz Gentleman nimmt Pascal mir das Feuerzeug aus der Hand und zündet mir die Kippe an. „Ich rauche nicht, ich trinke nicht und Lust auf Sex habe ich auch nicht“, verkündet er mit einem tiefen Seufzer. „Wieso dass denn?“, frage ich. „Ich habe es satt“, meint er und nippt an seinem Wasserglas.

Inzwischen tanzen alle auf „The show must go on“, von Fredy Mercury. Tom hat die Anlage voll aufgedreht. Ich muss genau zuhören um Pascal zu verstehen. Ich könnte auch näher rücken, aber das geht nicht, ich mag sein Eau de Toilette nicht, habe ich grade festgestellt. Die Chemie stimmt nicht, ich habe es geahnt.

„Ich habe im Moment Vier. „Vier was?“ „Na, vier Frauen am Start“, grinst er und holt, mir scheinbar Skepsis vom Gesicht ablesend, dabei höre ich jetzt nur schlechter, es ist aber auch laut hier, zwecks Antritt der Beweisführung, ein nagelneues I Phone aus der Hosentasche seines dunkelblauen Designeranzugs. „Du, das ist verdammt stressig. Ich muss aufpassen, dass ich da nix verwechsle, das ist Schwerstarbeit, wenn du dich auf jede einstellen musst, ein Fehler beim SMS Versenden kann da leicht passieren und dann hat man ein Problem.“ Im Zweifel gleich mehrere“, denke ich. Er wedelt mit dem I Phone wie mit einer Trophäe in der beringten Hand vor meinem Gesicht herum. „Guck selbst!“ Stolz zeigt mir Pascal vier Kurzmitteilungen mit jeweils anderen Worten, aber irgendwie doch sehr ähnlichem Inhalt. Alle Absenderinnen wollen das Gleiche - ein Wiedersehen mit Pascal und alle wollen es schnell.

„Tja, das sind die Leiden des Don Juan“, grinse ich jetzt und nehme den Don Juan sofort zurück. „Nein, du bist eher ein Casanova.“ Pascal reißt die Augen auf: „Wo ist denn da der Unterschied?“ Der Unterschied ist, dass Don Juan ein berechnender Schönredner ist. Sein Ziel ist die Frauen zu verführen und dann zu demütigen, um sich selbst aufzuwerten. Casanova ist eine arme Sau, er sucht die Eine, die Einzige, die er lieben kann. Und mit dieser idealen Frau vergleicht er alle anderen. Pascal nickt stumm und nimmt einen Schluck Wasser aus seinem Glas.

„Ja, das stimmt. Da ist was dran.“ Mit einem Anflug von Resignation in den Augen steckt er das I Phone in die Hosentasche zurück. Er hat meine Sympathie. Das Wort Sympathie kommt aus dem Griechischen und bedeutet übrigens so viel gemeinsames Leiden. Er tut mir leid. Ich mir auch, manchmal jedenfalls. Ich sehne mich nach dem Richtigen. Ich hatte ihn auch einmal gefunden und eine lange Zeit mit ihm gelebt, aber irgendetwas ging schief, weil immer etwas schief geht, aber darüber nachzudenken warum es schief ging, habe ich schon lange aufgeben, weil die Warum Frage nichts hilft. Seither begegnen mir statt dem Richtigen, was wenn es den nur einmal gab, aber den Gedanken vergesse ich jetzt gleich wieder, think positive, jede Menge Don Juans oder Casanovas. Ich habe also Erfahrung mit dieser Spezies.
 
„Vielleicht liegt es an dir, du erwartest zu viel. Du weißt wie es sein kann und misst das, was möglich ist, an dem was einmal war“. „Schon möglich, kann sehr gut sein. Meine zwei Kumpels haben auch kein Glück. Anfang vierzig, geschieden und seitdem Dauersingle. Die wandern von einer zur anderen, aber so was wie eine Beziehung kriegen die auch nicht mehr hin. Wir hängen jedes Wochenende in den Frankfurter Bars rum. Cherchez la Femme, verstehst du? Die Beiden strengen sich an wie blöd, ab und zu mal ein One Night Stand und das wars. Ich sitze einfach nur entspannt da und die Weiber kommen von alleine. Ich sehe halt gut aus und wirke vertrauenswürdig. Und außerdem sehe ich aus wie George Clooney, sagen jedenfalls alle, da läuft Kopfkino bei den Damen. Sie kommen von ganz allein und ich spule ein Programm ab. Ich gebe mich cool und bin charmant. Dabei bin ich gar nicht cool. Verstehst Du, ich wirke nur so. Das ist meine Maske. Dahinter bin ich ein völlig anderer. Eben nicht cool. Wenn ich allein bin kriege ich manchmal das heulende Elend.“ Selbstmitleidig guckt er aus dem akkurat gebügelten lachsfarbenen Oberhemd.

„Dann zieh sie doch mal ab, die Maske und schau was dann passiert“, schlage ich vor. „ Du verstehst dass nicht, das ist wie ein Programm. Es startet sich quasi von allein. Die Weiber müssen nur den entsprechenden Knopf drücken und es ist aktiviert. Selbstläufer.“ Aha“, murmle ich und denke nach. Ich komme aber nicht lange dazu, weil Pascal ohne Luft zu holen weiterredet. „Verdammt, Du glaubst es nicht, aber ich habe immer noch ihre Fotos auf dem Desktop vom Laptop. Sie sieht heute nicht mal mehr so aus wie damals. Mittlerweile ist sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Dick ist sie auch geworden. Ich kriege bei jeder kleinen Speckrolle schon die Krise und renne ins Fitnessstudio“, grinst er, fasst sich dabei an den Bauch und nimmt die Haut unter dem lachsfarbenen Hemd zwischen Zeige- und Mittelfinger: „Guck, kein einziges Röllchen.“

„Und das in deinem Alter, das ist eine Leistung“, zolle ich ihm die erhoffte Bewunderung. „Tja, haha, ein guter Hahn wird selten fett“, lacht er jovial. Das passt jetzt aber ganz und gar nicht zur charmanten Attitude des Nespressomannes. Vielleicht liegt es ja daran, dass er bei mir das Programm nicht abspult, weil ich den Knopf nicht drücke, denke ich.

„Weißt Du, ich vergleiche die alle mit ihr. Ich weiß, dass das doof ist und den Weibern gegenüber unfair, aber ich kann nicht anders. Die geben mir nix“. „Aber du gibst ihnen anscheinend was, sonst hättest du ja nicht gleich vier zur Auswahl“. “Ne du, ich treff mich mit ihnen, sie erzählen und ich höre zu. Irgendwie hoffen die alle, dass ich sie rette. Manchmal schlafe ich nicht mal mit ihnen. Kein Bock. Ich liege einfach da und lass sie machen. Eine von denen ist verheiratet. Sie meint ich würde ihr helfen aus ihrer kaputten Ehe raus zu kommen. Dabei will ich das gar nicht, wenn die ihren Mann verlässt erwartet sie, dass ich sie auffange. Das geht gar nicht. Ich brauche jemand der mich rettet. Ich habe manchmal richtige Depressionen, glaub mir.“

Ich glaube ihm. Casanovas sind glaubhafter als Don Juans, aber genauso unheilbar, aber das nur nebenbei. Ich stecke mir noch eine Zigarette an. Der Nespressoman vergisst mir Feuer zu geben.„Deshalb habe ich keine Lust mehr auf Sex, weil die was von mir erwarten. „Du lebst jetzt also ohne Sex?“, frage ich. Pascal schüttelt den Kopf: „Naja, ich hab´s jedenfalls mal vor. Verstehste nicht, das ist das Programm. Ich kann es nicht abstellen. So, ich hol mit jetzt doch mal ein Bier“, meint er, steht auf und geht zur Bar, wo eine schlanke Rothaarige steht, die ihn schon die ganze Zeit über anlächelt. Wie langweilig, denke ich und rufe mir ein Taxi. Auf dem Heimweg denke ich an ein Zitat von Ingeborg Bachmann: "Die Männer sind unheilbar krank." Wie sie das wohl gemeint hat?

Wahrheit?

Was ist Leben anderes als ein Meer von Möglichkeiten aus dem wir das für uns Stimmige herausfischen. Um was zu gewinnen? Halt? Woran sich halten, wenn wir nicht wissen was wahr ist und was nicht? An uns selbst, auf dem Weg mit dem Ziel einer authentischen Selbstverwirklichung? Eine Möglichkeit...

Ich frage mich ob es etwas wie Zeichen gibt und wenn es sie gibt, wie kann ich mir sicher sein, dass ich sie richtig deute? Ist es möglich, dass ich aufgrund der Zeichen konstruiere und aus mir selbst heraus eine Realität erschaffe, die nicht wahr ist. Was ist Wahrheit? Gibt es sie außerhalb des wissenschaftlich Beweisbaren? Ist sie, was die Gefühlswelt angeht, nicht überprüfbar, niemals? Was, wenn jede einzelne individuelle Wahrheit wahr ist – was dann? Was kann ich glauben? Was ist real?

Aber vielleicht ist das gar nicht die Frage. Die Frage ist möglicherweise: was ist wirklich von Bedeutung?