Mittwoch, 26. Januar 2011

Fremdgesteuert

Verletzungen heilen nicht, indem man sie sich bewusst macht. Wie ein Computerprogramm, das auf der Festplatte gespeichert ist sitzen sie in unseren Gehirnen, schieben wir sie in den Papierkorb, sind sie trotzdem da. Erfahrungen sind nicht löschbar, die gefühlte Erinnerung sitzt fest verankert im Limbischen System unseres Gehirns. Auf diese Weise fremd gesteuert versuchen wir durch immer neue Wiederholungen das Erfahrene wieder zu erleben in der Hoffnung auf einen besseren Verlauf und auf ein gutes Ende. Wir sind nicht frei, solange wir nicht frei sind vom ersten Menschen, der uns verletzt hat. Innere Freiheit ist eine Illsuion.


Herbst draußen. Tom merkt es daran, dass es jetzt früh noch dunkel ist. Dunkel einschlafen und dunkel aufwachen. Herbst eben. Keine Lust aufzustehen. Liegenbleiben geht nicht. Tom muss arbeiten. Hat eine Lehrstelle. Glück gehabt, sagt der Vater. Die Mutter sagt nichts, kann nichts sagen. Die Mutter ist tot. Hat nicht lange gelebt. Tom war acht.


Der Vater, arbeitslos, muss nicht aufstehen. Liegt im Bett. Schnarcht. Im Schlafzimmer wabert Alkoholgeruch. Stinkt. Der Vater trinkt. Tom sagt das keinem. Weiß es und sagt nix. Wem auch. Interessiert keinen. Die Mutter auch nicht. Ist ja tot. Besser der Vater wäre tot, denkt Tom. Hat ihn aber keiner gefragt.


Tom geht ins Bad. Zähneputzen. Duschen, Glatze waschen. Haare ab. Gut so. Wozu braucht einer Haare. Spart Zeit. Glatze muss man nicht stylen. Spart Gel. Sieht scheiße aus. Hat der Vater gesagt. Du bist scheiße. Hat Tom gedacht und nichts gesagt. Würde es gern sagen. Der Vater schlägt Tom, wenn er Müll labert. Tom schlägt andere. Kriegen eins in die Fresse, wenn sie das Maul aufmachen und Müll labern. Tom hat keine Angst. Vor nichts mehr. Schon lange nicht mehr. Alles egal.


Tom geht in die Küche, macht sich ein Müsli. Keine Milch da. Der Vater kauft Schnaps. Passt aber nicht ins Müsli. Tom gießt Wasser drauf. Pampe mit Wasser. Macht satt. Schmeckt nicht. Egal. Alles egal. Tom zieht die Jacke an, die Mütze auf den Kopf. Geht zur U–Bahn. Immer noch dunkel. Verfickte Dunkelheit. Nervt. Da hat Tom keinen Bock drauf. Auch nicht auf die Arbeit. Null Bock auf nix. Kauft Kippen am Kiosk. Steckt sich eine an. Geht zum Gleis. Raucht.


Kommt der Mann. Kommt direkt auf Tom zu. Glotzt. Reißt das Maul auf: „Hey du, rauchen ist hier verboten.“ Tom dreht dem Mann den Rücken zu. Will in Ruhe rauchen. Der Mann baut sich vor ihm auf, schreit: „Hörst du nicht was ich sage?“ Tom hört was der Mann sagt. Tom will in Ruhe rauchen. Der Mann schreit weiter: „Verdammt schau mich an, wenn ich mit dir rede, du Glatzenheini!“


Tom dreht sich um, schaut den Mann an. Der hat das Maul noch weiter aufgerissen. Schreit immer noch. "Solche wie du gehören ins Lager." Der Mann soll die Fresse halten. Tom haut ihm mitten rein in die Fresse. Der Mann fällt. Tom tritt ihm in die Fresse. Der Mann schreit. Anders jetzt. Tom tritt in den Mann rein. Bückt sich. Haut ihm in weiter die Fresse. Steht auf. Tritt dem Mann in den Bauch. Tritt ihm in die Eier. Draufschlagen ist gut. Drauf treten ist besser. Der Mann schreit nicht mehr. Tom steckt sich eine Kippe an. Raucht in Ruhe.


©Angelika Wende

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