Dienstag, 8. März 2011

Rosenweg



Die Frau war alt, nicht wirklich alt, aber so alt, wie sie gedacht hatte nie zu werden. Alt genug um sich zu fragen, was gewesen war und was noch sein würde. Zwischen Vergangenheit und Zukünftigem lag ihre Gegenwart, ein beschriebenes Blatt mit Tintenflecken überall, leicht angegilbt mit Worten, die von etwas sprachen, was sie hatte vergessen wollen. Sie wusste, dass ihr das Vergessen nicht besonders gut gelang.

Der Gedanke an das Vergessenwollen mischte sich unter all die anderen Gedanken und manchmal machte er die Frau einsam. Es war keine schlimme Einsamkeit. Es war eine, mit dem was ist, einverstandene Einsamkeit, die sie nicht teilen wollte, auch wenn ihr das Leben immer wieder die Möglichkeit dazu gab sie zu teilen. Die Einsamkeit, dachte die Frau, ist wie der Schmerz - unteilbar. Das zu akzeptieren gelang ihr gut. Er betrübte die Frau nicht, er war ihr vertraut, er steckte in ihrer Seele wie der Dorn einer Rose. Entzündet, ohne aber das Blut vergiftet zu haben. Der Dorn gehörte zu ihr seit sie denken konnte. Auch wenn er schmerzte, so war es doch ein leiser Schmerz mit dem sie leben konnte und der seine guten Seiten hatte. Weil sie diesen Dorn spürte, spürte sie auch den Dorn der anderen und konnte mit ihnen fühlen.

Jemand hatte in der Vergangenheit einmal zu ihr gesagt, im Leben gäbe es zwei Wege, die man wählen könne - den Rosenweg und den Lilienweg. Der erste, hatte dieser Jemand gesagt, hat Dornen und schmerzt ebenso wie er andererseits schön ist. Wie die Rose. Die Rose trage beides in sich, so wie das Leben immer beides in sich trägt und alles seinen Gegensatz hat.

Die Frau mochte das Bild vom Rosenweg, weil sie Rosen mochte.

Der Lilienweg sei der einfachere, der leichtere, hatte dieser Jemand gesagt, und dass diesen Weg viele gehen wollen und manche gingen ihn auch. Das seien diejenigen, die es leichter haben und weniger zu lernen im Leben, oder die, die nicht zu viel nachdachten.

Die Frau fragte sich, warum sie es nicht einfach hatte, denn das lag sicher nicht allein daran, dass sie Rosen mochte, fand aber keine wirklich überzeugende Antwort auf ihre Frage.

Vielleicht, dachte die Frau, ist alles Schicksal oder es sind die eigenen Gedanken und Gefühle, die sich im Leben materialisieren. Das waren wieder Fragen, die antwortlos blieben. Die Frau war müde von der Antwortlosigkeit in ihrer Gegenwart und weil sie wusste, dass die Gegenwart die Zukunft beeinflusst, traf sie eine Entscheidung im Wissen, dass die Warum Fragen niemals beantwortet wurde und dass das Wissen um die Dinge, die Dinge nicht unbedingt veränderte. Also begann sie nach dem Wozu zu fragen. Auf einmal fand sie viele Antworten.