Freitag, 6. April 2012

Aus der Praxis: Ungesunde Beziehungskonstrukte und Lösungsmöglichkeiten




jede beziehung zwischen menschen, jede familie ist ein system. 
es ist ein irrglaube, dass, wenn ein familienmitglied das system verlässt, es die möglichkeit hat, davon unabhängig zu werden und sein eigenes leben neu zu gestalten, wenn einer oder mehrere im system das nicht zulassen wollen.

die neugestaltung des unabhängigen lebens mag zwar auf der oberfläche sichtbar sein, im tiefsten grund aber ist dies eine illusion, denn die emotionalen bande und die gemeinsam gelebte zeit wirken auch nach einer zersplitterung des systems wie ein kitt. ein lösen und damit ein neues autonomes leben scheinen unmöglich oder sind zumindest schwer lebbar, wenn einer im system das nicht erlaubt. so kann der eine, ohne das einverstandensein oder die akzeptanz des anderen, keine befriedigende zukunft für sich selbst gestalten. gelingen das loslassen und eine konstruktive umgehensweise miteinander nicht, ist die gegen - und wechselseitige beeinflussung dieses system ein lebenslanges.

getrennte familienkonstrukte entwickeln sich oft zum drama.
dies geschieht, wenn ein teil des systems sich nicht damit abfinden will, dass das alte vergangen ist und krampfhaft daran festhält, obwohl es zerbrochen ist, und dem anderen den bruch und seine gescheiterten lebenskonstruktionen "nachträgt".

wenn der oder die verlassene das verlassenwordensein nicht akzeptieren kann, wächst nichts, außer im zweifel blumen des bösen. 
wer in trauer, wut, verzweiflung, rachegelüsten und groll verhaftet bleibt, vergiftet die bereits verbrannte erde des systems,  auf der mit einsicht, akzeptanz und gutem willen etwas neues wachsen könnte, nämlich ein achtungsvoller umgang miteinander.

groll baut baut eine wand zwischen dem, der das familiensystem verlassen hat und denen die darin verbleiben.
letztere fühlen sich meist als opfer und handeln aus diesem gefühl heraus auch wie opfer.  wer sich in zerbrochenen beziehungskonstrukten als opfer fühlt, ist nicht bereit seinen teil am scheitern des systems zu erkennen und damit anzuerkennen. jede opferhaltung führt zu einer spiralförmigen dynamik der vergeltung, die sich in den vielfältigsten symptomen zeigt. vergeltung aber führt dazu, dass das ganze system mit der zeit auf der ganzheitlichen ebene erkrankt - also körper, geist und seele der einzelnen beteiligten.

rache schaufelt immer zwei gräber, oder mehrere.
die opferhaltung hat interessanterweise zwei komponenten: zum einen die der ohnmacht, also das gefühl verletzt worden zu sein und nichts ändern zu können, was in die depression führen kann und schließlich zur dauerhaften vernichtung von "gesundem leben", zum anderen schafft das opferverhalten macht. wer sich als opfer fühlt, sieht keine verantwortung für das, was ihm geschieht und übergibt dem, der ihm (vermeintlich) etwas angetan hat, die schuld für seinen zustand. das wiederum verschafft dem opfer auf sehr subtile weise macht.

wer dem anderen die schuld für sein leid und seine verletzungen gibt, entledigt sich der eigenverantwortung, er sieht seinen teil am scheitern nicht ein, er macht den anderen zum täter und macht ihm in der folge ein schlechtes gewissen und damit schuldgefühle. nichts macht menschen manipulierbarer als schuldgefühle. schuld schreit aus opferseite immer nach vergeltung, also nach ausgleich, auf täterseite nach entschuldigung, sprich entlastung von schuld. daher bindet schuld opfer und täter aneinander, oft bis der tod sie scheidet. ein wahrer ausgleich kann so nicht stattfinden.

das opfer signalisiert bewusst oder unbewusst: du hast deine schuld abzutragen, damit du erlöst wirst. damit holt sich das opfer nach der erlebten ohnmachtserfahrung die macht zurück. schuldgefühle machen ausbeutbar - nicht nur emotional. das opfer ist überzeugt davon fordern zu dürfen, egal was, und tut es. der schuldige meint geben zu müssen, um sich aus der schuld zu befreien, und tut es. ein fass ohne boden. das opfer hat somit im zweifel eine lebenslange macht über den täter, denn es allein entscheidet, wann genug gebüßt ist. damit ist der, der das system verlassen hat in seinem neuen leben unfrei. er ist lebenslang an das system gebunden, das er eigentlich verlassen wollte. 

ein circulos virtuosus indem alle beteiligten auf fatale weise in der unguten energie der vergangenheit hängen bleiben, die ja ursächlich zum scheitern geführt hat, ein kreislauf, der abhängig macht, der die gegenwart vergiftet und damit die zukunft. der zähe leim eben.

wie löst man solche für alle beteiligten zerstörerischen beziehungskonstrukte auf?
in den meisten fällen gibt es im system den, wie die pychologie es nennt, "indexklienten". dies ist derjenige, der das problem bewusst oder unbewusst durch sein destruktives verhalten aufrecht erhält, es so manifestiert und beständig, wie ein zersetzendes gift, in das system einfließen lässt.

da die interaktion zwischen den beteiligten personen der wesentliche faktor für das fortbestehen des problems ist, ist sie auch die lösung für das problem.
in dem sinne, dass erkannt wird, dass das fortbestehen des problems und nicht sein ursprung das gegenwärtige problem ist. mit anderen worten: die zersplitterung des familienkonstruktes ist zwar der ursprung - der destruktive umgang mit der zersplitterung aber ist das problem, also kann man nur hier mit der lösung beginnen.

der umgang mit dem problem beeinflusst das verhalten der beteiligten massiv.
egal wie emotional schwierig die situation ist, das verhalten des indexklienten, der nicht bereit oder nicht fähig ist sein verhalten zu ändern, der keine einsicht zeigt und nicht den willen hat das system zu "er  lösen", muss unterbrochen werden. aber wie?

ändere ein glied in der kette und die kette ändert sich.
will das entscheidene glied ( der indexklient) sich nicht verändern, bleibt nur eines: die veränderung muss von einem anderen mitglied des systems vollzogen werden um es gesunden zu lassen.

zunächst macht es sinn, sich klar zu machen, dass das oder die vermeintlichen opfer keine passiven opfer sind sondern akteure und dass der schuldige kein täter ist, sondern ebenfalls ein akteur. so hat jeder akteur die möglichkeit seine rolle im drama zu verändern.

ändere dich selbst, denn du kannst andere nicht verändern. 
gemeint ist in diesem fall: wenn wir als teil eines ungesunden beziehungskonstruktes eigenes verhalten massiv verändern, verändert sich damit automatisch das verhalten der anderen, denn sie müssen auf ein neues verhalten neu reagieren, weil plötzlich die alten muster nicht mehr greifen, sondern ins leere laufen.

mit anderen worten: handelt der zum täter abgestempelte nicht mehr in der ihm zugeschriebenen rolle - versucht er nicht mehr geduldig alles zu ertragen oder seine schuld abzuzahlen und setzt eindeutig grenzen, muss sich das opfer auch anders verhalten, da seine emotionalen erpressungsversuche nun gegen die wand laufen. im besten falle wird es auf sich selbst zurückgeworfen und muss endlich beginnen sich mit seiner rolle im system auseinanderzusetzen.

jede beziehung basiert auf aktion und reaktion. dies ist wechselseitig und somit wechselseitig beeinflussbar.
um das system zu verändern macht es sinn sich zu fragen:
1. wer im system ist für das aufrechterhalten des problems ursächlich verantwortlich, also welches verhalten ist am bedeutsamsten negativ?
2. wen muss man beeinflussen um dieses aufrechterhaltene zu unterbrechen und zu verändern, um das problem zu lösen?
3. welche aspekte der interaktion sind am bedeutsamsten für das aufrechterhalten des problems?
4. wie kann der für die aufrechterhaltung des problems verantwortliche akteur dazu gebracht werden sein verhalten zu verändern, auch wenn er widerstand leistet?
5. wer will eine konstruktive veränderung?
6. wer weigert sich?
7. mit welchem verhalten füttert man das problem?
8. mit welchem neuen verhalten füttert man es nicht weiter?

der lösungsansatz:
man kann nur mit dem oder den beteiligten arbeiten, die die veränderung WOLLEN.
es ist absolut sinnlos und kräftezehrend den versuch zu machen den widerstand des blockierten indexklienten aufzuweichen oder zu brechen, was sowieso nicht gelingt, da der widerstand oft unbewusst aufrecht erhalten wird.

die lösung: man muss von aussen einen bruch (ein durchbrechen des circulos virtuosos) hervorufen.
das bedeutet: man sollte das verhalten des indexklienten nicht mehr füttern.
ein beispiel: der "schuldige" kann jederzeit, wenn er es will, (er ist akteur) aus der täterrolle aussteigen. das tut er zum beispiel, indem er die befreiung aus dem system auch tatsächlich lebt. das bedeutet abgrenzung - emotionale und tatsächlich gelebte abgrenzung. das bedeutet klare zeichen zu setzen, im sinne von: das ist jetzt mein leben. dazu gehört, ganz bewusst nicht mehr auf die forderungen nach ausgleich einzusteigen und eigene bedürfnisse anzumelden und auch aktiv etwas dafür zu tun.

er muss aufhören aus einem gefühl von schuld und dem sinnlosen streben nach wiedergutmachung dinge zu tun, die ihm eigentlich widersprechen und die er eigentlich nicht will, sondern nur tut, weil die stete konditionierung des schuldgefühls in ihm wirkt. dazu gehört auch die vermeintliche schuld zu hinterfragen und sie nicht einseitig, also rein emotional zu deuten. dazu gehört das bewusstsein, dass "schuld" - ersetzt durch "verantwortung" - ihre destruktive macht verliert.

das bedeutet:  aufhören den "wiedergutmacher, den "retter" oder den "erleichterer" zu spielen.
auf diese weise kommt es nie zu einer rettung sondern lediglich zu einer unterstützung des "opferverhaltens". ist das "opfer" auf sich selbst zurückgeworfen und macht es wiederholt die erfahrung, dass seine strategien keine wirkung zeigen,  muss es wohl oder übel beginnen umzudenken, wenn es "überleben" will und das system nicht völlig zerstören will. das heißt es lernt im besten falle die eigenverantwortung zu übernehmen und im sinne der heilung des systems, zu kooperieren. meist sind menschen, die in der opferhaltung steckenbleiben dazu leider nicht fähig. ist das der fall, ist professionelle hilfe von außen nötig - und zwar hilfe, die den unterstützt, der an der heilung des systems arbeiten will.