Donnerstag, 28. Juni 2012

Selbstherrlich





 

ich wollte ihn eigentlich nicht treffen. ich hatte ein ungutes gefühl im bauch. aber irgendwie schaffte er es, mich dann doch dazu zu bewegen. ich ließ es ihn schaffen, vielleicht weil ich neugierig war, oder doch an die möglichkeit glaubte, es würde einen auftrag bedeuten.

er wollte meine hilfe, er sagte es am telefon und ich sagte ihm, meine hilfe kostet geld, weil ich von diesen dingen lebe. er meinte, natürlich, er wisse das.

ich ging also trotz und mit dem unguten gefühl im bauch zu dem treffen.

ich sah ihn schon von weitem. sein wild nach oben abstehendes blondes haar leuchtete in der sonne. er begrüßte mich überschwenglich, wie schön es sei, uns nach so vielen jahren wieder zu sehen und wie gut ich aussehe. ich setzte mich zu ihm an den kleinen runden tisch, der eng an einem anderen tisch stand. ich musste mich auf den stuhl zwängen. eingequetscht zwischen seinem stuhl und dem stuhl einer jungen frau hinter mir, versuchte ich gedanklich anzukommen.

die kann doch mal ein bisschen wegrutschen, die ignorante kuh, mit ihrem stuhl. er sagte es laut. die junge frau bewegte ihren stuhl keinen millimeter. die leute sind so verdammt ignorant, brummte er ärgerlich und holte seine zigarretten aus der hosentasche um sich eine anzuzünden. ich zündete mir auch eine an. du rauchst, das ist gut, grinste er, blies genüsslich kringel in die luft und öffnete das heft, das vor ihm lag, schau genau hin. ist das nicht wunderbar? ich schaute genau hin. es war der werbekatalog eines verlages, dessen name ich noch nie gehört hatte. auf der ersten seite war eine große anzeige für das buch, das er geschrieben hatte. das ist wunderbar, sagte ich, ich gratuliere dir. ja, das ist fantastisch, nicht wahr? die haben mich auf die erste seite gesetzt, sogar mit foto, schau.

die kellnerin unterbrach seine begeisterung. er stuppste mich am ellbogen, sag, was willst du haben? ich nehme ein cola zero und einen salat. er schüttelte den kopf, ich nehme eine richtige cola und das schnitzel mit pommes. ich bin dünn, ich kann mir das leisten, warf er mir und der kellnerin hin ohne eine von uns anzusehen.

also, was kannst du für mich tun?, fragte er mich. er beugte sich zu mir hin. über seinem linken auge hing ein dickes blondes haar. ich dachte, das muss ihn doch stören, aber wahrscheinlich störte es nur mich. die kellnerin brachte das essen. ich darf doch mal bei dir probieren?, fragte er und stach mit seiner gabel, ohne eine antwort abzuwarten, in meinen salat.

was möchtest du denn, was ich für dich tue?, fragte ich ihn. na, du sollst mir einen vorschlag machen, wie wir das hier in der stadt vermarkten können. ich fragte ihn, ob das der verlag denn nicht für ihn mache, lesereisen und das übliche. sicher macht der das, aber das ist mein baby, dafür will ich alles tun. gut, sagte ich, aber ich muss trotzdem wissen, was dein ziel ist, willst du aufmerksamkeit und presse oder geld verdienen? was denkst denn du, ich will natürlich, dass es bekannt wird und sicher will ich geld verdienen. ok, sagte ich, dazu brauchst du ein gutes marketing und dafür bin ich nicht die richtige, ich kann eine schöne kleine veranstaltung mit dir machen.

aber du hast doch einen großen verteiler, die leute kennen dich doch hier. die musst du alle einladen und wenn, sagen wir, hundert leute kommen, moment, wie viele bücher muss ich dann verkaufen? er rechnete laut. mein magen zog sich zusammen. hm, das ist nicht viel, wenn die alle eins kaufen, dann sind das unter tausend euro. hm, und was willst du haben? na, das kommt darauf an, was du willst, antwortete ich, auf den aufwand, den ich habe.

was kannst du für mich tun?, fragte er wieder. ich erklärte ihm noch einmal was ich für ihn tun konnte und was nicht und nannte ihm meinen stundensatz. zu viel, das lohnt sich ja nicht, sagte er, da verdiene ich ja nichts. darum geht es doch erst mal nicht, du möchtest doch, das die menschen dein buch lesen und dazu musst du es public machen und wenn ich für dich arbeite, bekomme ich ein honorar. er dachte nach, public machen, das macht doch der verlag.

gut, sagte ich, dann frage ich dich, wozu brauchst du mich dann? na du hast doch immer einen vollen saal, wenn du was machst. der kostet doch auch nichts, oder? nein, sagte ich, der saal kostet nichts. du könntest aus deinem buch lesen und ich mache dann ein interview mit dir, damit die leute etwas über den autor und den menschen dahinter erfahren. ach, das kann ich doch selbst. ich mach das bei meinen lesungen immer so, ich erzähle was über mich und alle sind total begeistert. ich fasziniere die menschen, deshalb hab ich auch so einen erfolg als trainer. er strahlte mich an.

mein magen war mittlerweile ein einziger klumpen. der spiegel seiner selbstherrlichkeit blendete mich massiv. warum verdammt, sitze ich hier noch, fragte ich mich, wenn er doch alles selbst kann. also, was kann ich konkret für dich tun? fragte ich ihn noch einmal. na, du machst das schon gut, wenn ich dich nicht schätzen würde, hätte ich dich doch nicht gefragt, das weißt du hoffentlich.

ich dachte über seine wertschätzung nach und über mein honorar, das ihm zu viel war. ich sah ihm ins gesicht, sah wieder nur diese selbstherrlichkeit und fragte mich, was ich da eigentlich sah. war ich selbstherrlich? wenn ich dem ding mit der projektion glaubte, war ich das dann wohl. aber dann fiel mir ein, dass jedes ding zwei seiten hat, also auch das phänomen der projektion. plötzlich wurde mir klar, was mir den magen verklumpte. es war nicht meine verdrängte selbstherrlichkeit, es war die tatsache, dass ich mich ihm gegenüber nicht wertvoll fühlte und dass es dafür keinen einzigen verdammten grund gab. mein magen entspannte sich augenblicklich.

ich muss dann mal los, sagte er unvermittelt, und denk mal drüber nach, was du für mich tun kannst. ich lächelte ihm zu und dankte ihm innerlich für das, was er für mich getan hatte.