Samstag, 11. Oktober 2014

AUS DER PRAXIS – Von der Angst verletzt zu werden und wohin sie uns treibt ...


Malerei A.Wende

Es ist ein kindlicher Wunsch durch dieses Leben gehen zu wollen, ohne verletzt zu werden. Ein Wunsch, der so alt ist wie wir selbst. Er wird alt werden wie wir selbst und er wird sich für keinen Menschen erfüllen. Menschen werden verletzt und in der Folge werden sie verletzen, sich selbst und andere. Die erste Verletzung wird uns beigebracht, wenn wir den Mutterleib unter Schmerzen und Angst verlassen, während wir uns aus der warmen Sicherheit herauskämpfen in das Leben draußen. Traumatisiert vom gewaltigen Akt der Geburt, schutzlos und verletztlich durch die erschütternde Erfahrung des Ausgetriebenwerdens aus dem sicheren Schoß, in dem wir versorgt und geborgen waren bis ... bis wir getrennt wurden, finden wir uns schreiend mit durchschnittener Nabelschnur allein in einer Welt, die wir nicht begreifen, nur fühlen. Die Angst und der Schmerz sind der Preis für unser Leben, ein Geschenk, so ambivalent wie das Leben selbst. Welch ein Schock. Ein Schock, den wir ein Leben lang in uns tragen und den die Liebe der Mutter und die Liebe des Vaters, sind sie denn Liebende und uns Liebende, heilen mit bedingungsloser Liebe.

Aber etwas bleibt. Sie bleibt, die Angst des Erlebten, in jeder Zelle unseres Körpers. Beim Einen ist sie groß, sie wird ihm ein lebenslanger Begleiter, beim Anderen wird sie klein und kleiner.

Ich kenne die Angst. Ich kenne die große Vielfalt an Strategien um mit ihr zu leben und zu handeln, trotzdem sie da ist. Ich kenne ihre guten Seiten und ich kenne ihre schlechten Seiten. Ich habe Resonanz zur Angst und ich habe sie angenommen als eine Aufgabe in meinem Leben, der ich mich stellen muss, seit ich lebe. Ich weiß, wie sie sich anfühlt und ich weiß, wie es sich mit ihr lebt und mit ihr leben lässt und sie weiß das auch.

Es gibt unendlich viele Ängste und alle sind aus der ersten Erfahrung unseres Eintritts in das Leben geboren. Aus ihrer Quelle fließen kleine Bäche oder größere Flüsse, machmal sogar reißende Ströme die in ein tiefes Meer münden. Die Erscheinungsformen der Angst sind so verschieden wie es verschiedene Menschen gibt. Aber alle Ängste haben eines gemeinsam: Sie sind Hindernisse, die zwischen uns und uns, zwischen uns und anderen stehen und zwischen uns und der Welt, die die unsere ist.

Die Angst ist so komplex wie die Liebe und manchmal ist sie das, was Liebe verhindert, zu uns selbst und damit zu anderen. Wer sich selbst nicht bedingungslos liebt hat viel Angst. Er ist allein, sein Leben ist ein stetes Bemühen sich selbst zu schützen. Die Wunde im Eigenen, die Erfahrung von Verletzung und Schmerz macht klein, macht eng, macht einsam. Wer sich nicht liebt, nicht lieben gelernt hat, fürchtet sich vor der Liebe, denn wie soll er an sie glauben, sie fühlen, wenn er sie in sich selbst doch nicht fühlen kann, wenn das Herz wund ist und die Seele ein zersplittertes Etwas, das seine Essenz sucht und sie in all den Einzelteilen, die im Raum schweben, nicht zu finden vermag? Dann gesellt sich die Traurigkeit zur Angst und die Vorsicht waltet im ganzen Sein.

Vorsicht, lass dich nicht verletzen, Vorsicht, du kannst nicht vertrauen, Vorsicht, du kannst dich nicht binden, also winde dich heraus aus allem, was die Möglichkeit in sich trägt deine Angst zu bestätigen und deinen Schmerz zu erneuern. Vermeiden ist dann das Mittel der Wahl, das schützen soll und vorgaukelt es zu tun. Ein Irrglaube, eine vermeintliche Sicherheit im engen Schutzraum der Einsamkeit, der umklammert und seinen Preis fordert. Der Preis ist das Leben mit all seinen Facetten. Der Lohn ist die Starre der Lähmung: Angst.

Angst isst die Seele nicht nur auf, sie lässt sie nicht wachsen, sich verhindert Erfahrung und lässt sie verkümmern, noch ehe sie sich in ihrem ganzen Reichtum entfalten kann. Angst brennt wie ein Feuer, das die Seele in glühende und schließlich in kalte Asche verwandelt. Tot im Leben.

Bis dahin treibt sie den Ängstlichen um, sie treibt ihn zur Flucht, wenn die Liebe erscheint und ihm die Hände reicht. Und er will sie fassen, sie auf sein wundes Herz legen und vertrauen, endlich vertrauen. Und manchmal für einen Moment in der Zeit gelingt es sogar. Aber halten? Wie halten, was Angst macht, was Verletzung bedeuten kann? Kann. Niemals ist da ein Wissen, ob sie auch eintreten wird. Aber die Angst glaubt es zu wissen, die alte Angst weiß, was geschehen ist und wieder geschehen kann und sie warnt das Herz. Und das Herz verschließt sich der Möglichkeit ein Besseres zu lernen. Es kann nicht anders. Es fürchtet sich doch so sehr und es ist noch immer in der Vergangenheit zu hause und zugleich aus der Erinnerung heraus in der Zukunft mit all den schmerzhaften Konstruktionen, die doch eintreten müssen, weil die gefühlte Erfahrung ihm das sagt. Die Gegenwart sieht es nicht, weil es blind ist vor Angst.

Aber wo die Angst ist, ist kein Raum für die Liebe, sagt der Teil der Seele, der größte aller Teile, der weiß, der mehr weiß, als die Angst. Und wenn er seinen Mut dazuruft, der irgendwo immer auch ist, dann sind da zwei Teile, die die Kraft haben sich über die Angst zu legen, sie zu zudecken, ganz behutsam, ohne sie zu verurteilen, ihr Mitgefühl schenken und ihr sagen: Angst, du darfst sein, denn du bist und ich weiß dich zu schätzen, aber schau, du kannst dich ausruhen, bis ich dich wirklich brauche um mich zu warnen, denn das ist deine wahre Qualität, aber es ist nicht deine Aufgabe mich von der Liebe zu entfernen, denn ohne sie gäbe es auch dich nicht.















































5 Kommentare:

  1. Liebe Angelika Seit ich Deinen Blog entdeckt habe, vergeht kein Tag an dem nicht vorbeischaue auf ein Wort von Dir und immer wieder treffe ich auf Texte, die das ausdrücken was ich erlebe, lebe und fühle. Und immer wieder denke ich nach dem Lesen, dass ich "wieder" da bin, wo ich schon immer war, nämlich nirgends, und dass ich eigentlich gar nichts verstanden habe. Und dann bin ich manchmal richtig traurig darüber, dass ich wieder zurück muss und ich frage mich dann: Mädchen, warum schaffst Du nicht wenigstens einmal ein kleines Stück. Stattdessen scheitere ich immer wieder, weil ich es nicht schaffe auf meiner Bahn zu bleiben. Immer wieder beherrschen mich die Gefühle anderer, weil ich einfach immer alles spüre, was von anderen ausgeht, aber unfähig bin, mich innerlich zu schützen (äußerlich ist mir nichts anzumerken). Ich spüre dann genau, was um mich rum passiert, aber ich verliere mich dann; obwohl es eigentlich genau die verlorenen Seelen sind von denen ich mich nicht abgrenzen kann. Ich spüre dann einfach immer alles, durchschaue es und verliere mich und fühle mich dann jedes Mal auch als Verlierer. Und dann bin ich immer so verloren, dass ich nicht mehr nach Hause finde. In diesem Verlorensein bin ich so orientierungslos und voller Angst. Immerzu habe ich Angst; es ist als ob ich nur aus Angst bestehen würde. Und obwohl ich alles verstehe, habe ich so eine tiefsitzende Angst vor der Unberechenbarkeit und Bosheit der Menschen, dass ich, wenn ich genau diese Unberechenbarkeit, Unehrlichkeit und Bosheit bei anderen spüre, mich verliere. Ich kann mich einfach nicht abgrenzen und abwenden. Warum geht das nicht? Ich nehme die Gefühle des anderen so stark auf, dass ich nach solchen Begegnungen immer sehr verwirrt bin. Leider, trifft das auch auf Menschen im Arbeitsleben zu, wo es kaum ein Ausweichen gibt. Zu Hause kann ich mich wenigstens noch "einsperren", aber draußen fühle ich mich immer wie ein nackter schutzloser Molch. Und obwohl ich anderen Menschen gegenüber immer sehr großzügig bin, merke ich dann, dass ich im Grunde genommen Angst vor Ihnen habe. Dabei gibt es doch auch andere Menschen, denen ich begegne, die so viel zu geben haben. Doch trotz dieser positiven Erfahrungen, schaffe ich es nicht mit diesen Gefühlen umzugehen, die ich bei anderen spüre. Sobald ich merke, dass bei meinem Gegenüber keine Übereinstimmung besteht, bekomme ich so eine grosse, unüberwindbare Wut, die mich innerlich aus der Bahn wirft. Vielleicht wird mir Dein letzter Absatz helfen, vielleicht schaffe ich es meiner Angst zu sagen, dass sie sich ausruhen soll bis ich sie brauche. Denn genau das ist bisher nicht passiert; denn sonst würde ich mich nicht immer in dieser Wut verlieren. Vielleicht sollte ich sie hin und wieder anschauen; vielleicht im Spiegel; vielleicht bin ich sogar selbst die Angst.

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    1. liebe unbekannte,
      du bist nicht deine angst, du bist nicht deine wut und du bist nicht dein verlorensein. all das bist du nicht. all das sind deine gefühle. du hast die wahl, dich vollends mit ihnen zu identifizieren oder zu lernen: ja, das fühle ich, aber es gibt auch einen teil in mir, der all diese gefühlszustände beobachtet und sich davon distanzieren kann, bzw. disidentifiziert, um nicht von ihnen beherrscht und gesteuert zu werden. diesen "erwachsenen" teil gilt es zu finden und zu stärken um das "mädchen" zu schützen und gut für es zu sorgen.

      das ist ein weg den wir gehen können um uns nicht von negativen gefühlen überfluten zu lassen. es macht sinn, sich selbst zu beobachten, denn so schaffen wir distanz zu dem, was uns quält. selbstbeobachtung ist notwendig, um sich von den inneren dämonen abgrenzen zu können. abgrenzung von anderen geschieht indem wir bei uns selbst bleiben. d. h. unsere bedürfnisse wahrnehmen, achten und leben. mir scheint, du bist sehr im außen. du verlierst dich im außen, wie du schreibst. nun, der weg geht nach innen. nur wenn du innerlich halt gefunden hast, gelingt dir eine gesunde abgrenzung von den eigenen negativen emotionen und von den gefühlen anderer mit denen du in resonanz trittst. wir treten nur mit dem in resonanz, was wir selbst in uns tragen. das heißt, all das, was dich im außen so "anspringt" ist in dir! es sind deine schatten, die du verdrängst. der weg zu dir selbst und deinen schatten ist ein langer weg. er beginnt am ursprung deines lebens mit der suche nach all dem unverdaut geschluckten, was dich und dein leben bis heute "vergiftet". es wäre gut, wenn du jemanden findest, der dich dabei in deinem tempo begleitet und wenn du beginnst zuzuhören ... deiner wahrheit zu lauschen, die du nicht hörst, solange du denkst, dass es die anderen sind, die das "böse" mit dir machen.

      alles liebe, angelika

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  2. Dankeschön. Dieser Blog ,liebe Frau Wende ist eine unglaubliche Bereicherung für mich .Ich lese es sehr gerne.

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  3. Danke, liebe Angelika Wende.

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