Donnerstag, 27. November 2014

Aus der Praxis – Geteiltes Leid ist doppeltes Leid




Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt der Volksmund und irrt sich damit gewaltig. Die Wahrheit ist: Geteiltes Leid verdoppelt sich.

In guten und in schlechten Tagen, heißt es, wenn wir uns entscheiden mit einem Menschen unser Leben zu verbringen (man beachte ich sage: verbringen und nicht teilen) und wir meinen das auch so, denn auch ohne Trauschein ist es für die meisten Menschen selbstverständlich, dass in einer Beziehung nicht nur das Gute, sondern auch die schlechten Dinge geteilt werden.

Fakt ist, sobald wir eine Beziehung eingehen bringt jeder eine Menge Kram mit, abgesehen von seiner eigenen Geschichte und seinen Altlasten, wie man so schön sagt, auch neue Lasten, nämlich die Probleme des Alltags. Menschen haben Sorgen, die meisten jedenfalls. Das Leben ist kein Ponyhof, um wieder den Volksmund zu zitieren, und damit hat er Recht.

Aber ist es wirklich selbstverständlich, dass wir all unsere Sorgen mit dem anderen teilen müssen? Die Erfahrung sagt, wir alle machen das, wir müllen den Partner zu, wir kotzen uns bei ihm aus, wenn der Job uns ankotzt, wenn der Auftraggeber uns nervt, wenn es anders läuft, als wir es uns wünschen, wenn es uns seelisch schlecht geht. Immer muss der Partner herhalten und sich unser Gejammer anhören und damit kippen wir ihm vor die Füße, was wir alleine nicht auszuhalten glauben, im Glauben, wenn wir unser Leid teilen, wird es kleiner.

Aber was machen wir damit eigentlich?

Wir übertragen unseren Frust als negative Energie auf den Anderen. Und damit vergiften wir seine Lebensenergie mit unserem Alltagsmüll. Er hat automatisch die Rolle des guten Zuhörers und mutiert in manchen Fällen sogar zum Therapeuten, allerdings ohne eine Ausbildung gemacht zu haben und damit fehlt ihm auch die Fähigkeit zur Abgrenzung. Er ist zu nah dran und. auch wenn er könnte, es fiele ihm schwer sich abzugrenzen, denn wer will schon, dass der geliebte Mensch leidet, das tut weh. Also setzt er alles daran, damit es dem geliebten Menschen besser geht und lässt seine Kraft in die Nöte des Partners fließen. Dass sie ihm für sein eigenes Leben damit mehr und mehr abhanden kommt ist logisch.  Zuhören, Trost spenden, motivieren und für den anderen nach Lösungen suchen kostet Kraft. Diese Kraft zehrt an der eigenen Lebensenergie. Sich immerzu kümmern müssen, raubt zudem Zeit, die man braucht für das eigene Leben, das ja auch nicht ohne Probleme ist. Irgendwann ist der Tank leer. Man ist vom ewigen Zuhören und Motivieren ausgebrannt, die Lebensenergie ist abgeflossen und man spürt mit der Zeit, dass man sich in Anwesenheit des Jammernden immer müde, erschöpft und energetisch auf dem Nullpunkt fühlt. Die Grenze zwischen Ich und Du ist verwischt oder sie hat sich sogar aufgelöst und keiner spürt mehr was das Seine ist und was nicht. Das Leid hat sich verdoppelt.

Manchmal geht das Leid teilen Spiel auch Hin-und Her. Einer leidet, dann wieder der andere, und alles wird geteilt. Am Ende ist nicht nur jeder ausgebrannt sondern auch die Beziehung am Nullpunkt, da nämlich, wo sie keine Leichtigkeit und keine Freude mehr kennt. Das ist dann meist das Ende der zu vielen schlechten Tage, es kommt zur Trennung, weil man das Drama nicht mehr erträgt und wissen will, wer man selbst eigentlich noch ist, ohne den ganzen Giftmüll des anderen in der Seele.

Manch einer mag jetzt den Kopf schütteln und sagen, was will die mir denn da erzählen?
Außer der Erfahrung eines schon recht langen Lebens in diversen Beziehungen, gibt es Belege für diese These. Die Psychologen Erica Boothby, Margaret Clark und John Bargh von der Universität Yale berichteten kürzlich im Fachmagazin Psychological Science, nach umfangreichen Tests, dass Erfahrungen und Erlebnisse intensiver wahrgenommen werden, wenn wir sie mit anderen teilen. Das gilt im positiven wie eben auch im negativen Sinn. Etwas Schönes mit einem anderen Menschen zu teilen, verleiht diesem Erlebnis Intensität. Das Gleiche gilt für ein unschönes Erlebnis – das Teilen steigert das Leid, bei sich selbst und beim erwählten Leidensgenossen.

Soll man also seine Probleme und Sorgen demnach lieber selbst bewältigen, anstatt eine Lebensgemeinschaft zur Leidensgemeinschaft zu machen? Energetisch und psychologisch gesehen: Ja. Immer wenn wir beim Gegenüber Sorgen oder Leid abladen, erhoffen wir uns etwas. Wir wollen getröstet werden, das ist auch völlig in Orndung, aber vor allem wollen wir, dass der andere uns rettet. Das ist eine infantile Haltung. Da ist unser inneres Kind am Ruder, das schreit: Ich will auf den Arm! Dass man dafür allerdings längst zu groß ist, übersieht das innere Kind, ihm geht es einzig um sich selbst, denn diese Kind ist auch ein kleiner Egoist und der schreit nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung. 

Wie kann eine erwachsene Lösung aussehen?

Man sollte sich des Energieraubes bewusst werden, den man am anderen begeht und sich erst einmal auf sich selbst besinnen und zwar darauf, dass man keine fünf Jahre mehr alt ist, sondern ein Erwachsener, der in seinem Leben vor der Beziehung sehr wohl in der Lage war seine Probleme zu lösen und mit seinen Sorgen alleine klar zu kommen.

Man sollte sich bewusst machen, dass der Partner nicht Vater oder Mutterersatz ist, sondern, das man selbst der hilfreiche Erwachsene für sich sein kann, den man beim anderen einfordert und dann endlich aufhören die gleichen Sorgen immer und immer wieder dem anderen überzukippen, anstatt selbst nach der Veränderung zu streben, die man vom anderen erwartet. Der kann das auch gar nicht, denn Veränderung beginnt immer innen, bei uns selbst. Man sollte sich bewusst machen, dass die ewige Opfer- und Klagenummer auf Dauer unattraktiv macht und man damit nicht nur den Partner, sondern auch die Beziehung dröge macht und überfordert und dass das, was man ständig mit dem anderen lösen will, im Zweifel zur Auflösung der Beziehung führt. Wie gesagt, das erfordert ein erwachsenes Verhalten und Handeln. Entscheidend dabei ist, den Mut zu haben in die eigenen Tiefen abzusteigen, sich zurückzuziehen und sich zunächst allein dem zu stellen, was leiden macht, denn nur so kann sich etwas verändern, und dann daran zu arbeiten. Wenn das alleine partout nicht geht, es gibt es Menschen, die einen Beruf daraus gemacht haben zu helfen und Lösungen zu finden, damit es anderen besser geht. Bevor wir also unsere Sorgen und Probleme weiter beim Partner abladen, sollten wir uns jedes Mal bewusst machen: Geteiltes Leid ist doppeltes Leid. Keiner sollte die Last des anderen mittragen müssen, denn er hat selbst genug davon.

Miteinander reden ist gut. Einander unterstützen ist gut. Abladen ist ungut. Es ist immer der mittlere Weg.


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