Montag, 2. Februar 2015

So nah wie nie zuvor




Ja, es fühlt sich gut an, wenn du gebraucht wirst. Eine Zeit lang fühlt sich das richtig gut an. Du hörst der Freundin zum hundertsten Mal zu, wenn sie über das immer gleiche jammert, du tust alles um anderen einen Gefallen zu tun, du gibst dein letztes Hemd, wenn es sein muss, um Menschen zu helfen, die du gern hast. Ständig sagst du ja wo du nein meinst, nur um anderen zu gefallen. Ja, es fühlt sich gut an, immer zur Stelle zu sein, wenn du gebraucht wirst. Ständig rufen dich Leute an, um dir ihr Herz auszuschütten. Es gibt dir das Gefühl nicht alleine zu sein. Dass all die anderen dagegen deine Sorgen nicht so gern anhören wollen, damit hast du dich längst abgefunden, du wirst ja gebraucht. Aber irgendwann meldet sich eine leise Stimme in dir, die dich fragt: Wie geht es dir eigentlich, was denkst du, was fühlst du, was willst du eigentlich?

Dann wird dir klar: Du hast dich verloren. Du hast dich verloren im gebraucht werden. Du warst so beschäftigt damit es allen recht zu machen, dass du dich selbst dabei völlig vergessen hast. Du fühlst dich erschöpft, ausgebrannt und leer und magst dich selbst nicht mehr leiden. Du siehst müde aus und hast keine Lust auf irgendetwas anderes, als abends vor dem Fernseher abzuhängen bis du erschöpft einschläfst. Aber wenn du dann die Freundin anrufst, sagt diese nur: "Ach was du schaffst das schon, du bist so eine starke Frau", und erzählt dir wieder von sich und du sollst schon wieder zuhören. Und dir wird plötzlich klar wie allein du eigentlich bist. Wie verlassen du bist, wenn du aufhörst es allen recht machen zu wollen. Das ist bitter. Aber die Wahrheit ist: Du warst die ganze Zeit allein.
Du hast es nur nicht bemerkt bei deinem ständigen "es allen recht machen".

Und jetzt?
Jetzt hörst du auf es allen recht zu machen.
Du legst den Hörer auf, wenn dir am anderen Ende das ewig gleiche Gejammer entgegenkommt, du führst nicht zum hundertsten Mal die immer gleichen Gespräche, du triffst dich nicht zum hundertsten Mal mit Leuten, die dich langweilen und nicht die Bohne inspirieren, du hörst auf Dinge zu tun, die du nur tust, weil andere es von dir erwarten, du vertrödelst deine Zeit nicht mehr mit Menschen, die immer nur "ich" sagen, du tust nichts mehr von dem, was dich in eine schlechte Stimmung versetzt. Denn endlich begreifst du - immer wenn du nach einer Begegnung schlechte Stimmung hast, hast du dir etwas angetan, was dich schwächt.

Und dann?
Dann kann es sein, dass du erkennst, dass all die Leute für die du da warst, dich ausgesaugt haben, weil du es zugelassen hast. Dann kann es sein, dass du dich entscheidest das nie mehr zuzulassen.
Dann kann es sein, dass du dich plötzlich mutterseelenallein fühlst. 
So allein, dass du meinst, das kannst du nicht aushalten. Aber du weißt, du kannst nicht mehr zurück, weil du die Wahrheit erkannt hast, weil du erkannt hast, dass das dein Herz nicht froh macht und deinen Körper auszehrt. Du kannst nicht mehr zurück, weil du das alles nicht mehr willst, weil dir die Kraft fehlt, dich weiter mit Belanglosigkeiten zu beschäftigen und mit Dingen, die dir keine Freude machen, die dich nicht weiterbringen, die dich weg bringen vom Wesentlichen.
Vielleicht weißt du schon gar nicht mehr was das Wesentliche ist, wenn du das Unwesentliche aussortiert hast.

Du hast alles Unwesentliche aus deinem Leben gestrichen und vor dir tut sich ein riesiger leerer Raum auf.
Was jetzt?
Jetzt geht es um dein Leben, dein Leben aus erster Hand, dein handgeschustertes Leben.
Laotse sagt: "Ziehe dich zurück, wenn die Leistung vollbracht ist."

Jetzt wirst du vielleicht eine Zeit lang sehr allein sein.
Aber besser du bist allein, als einsam unter anderen, die dir keine Freude machen.
Und du wirst dich fragen, wie es mit dir weiter geht.
Du wirst dich fragen, was für dein Leben wichtig ist.
Und du wirst vielleicht erst einmal keine Antworten finden.
Aber du weißt auch - bei wirklich wesentlichen Fragen musst du nach Innen gehen, schweigen, still sein, anhalten. Du weißt, es braucht diese Zeit der Stille, bis du erkennst, was zu tun ist.
Du weißt, dass der Rückzug dazu dient dich zu regenerieren um wieder in deine eigene Kraft zu kommen.

Und dann nimmst du dir diese Zeit, genau die Zeit, die du brauchst. Du lässt dich nicht drängen von nichts und niemanden, du tauchst in deine eigene Tiefe und schottest dich vom Außen ab. Wenn du dich entschieden hast in deine Tiefen hinab zu steigen gibt es keine Garantien, keine Ziele und kein Versprechen, dass du schnell und heil wieder ans Licht kommst. Du bist allein in der Dunkelheit mit deinen Dämonen, mit deinen Drachen, die dich von allem abhalten, was du so gerne getan hättest und nie getan hast, weil du die Drachen für so viel mächtiger als dich selbst gehalten hast. Die Drachen die Angst heißen - vor Unabhängigkeit, vor Selbstbestimmung vielleicht, oder andere Namen haben. All den Drachen wirst du begegnen und du wirst sie anschauen und mit ihnen sprechen und du wirst sehen, dass sie so groß gar nicht sind, jetzt wo du ihnen endlich entgegentrittst mit dem Mut der Verzweiflung vielleicht. Und dein mutiger Blick wird sie verunsichern und du wirst spüren, dass du so klein und machtlos gar nicht bist. Und vielleicht musst du sie gar nicht bekämpfen, vielleicht kannst du Freundschaft mit ihnen schließen und sie bitten sich als hilfreich für dich zu erweisen, indem sie dir etwas von ihrer Macht abgeben. Vielleicht siehst du auch die Geister deiner Vergangenheit vor dir aufsteigen, vielleicht wirst du erschrecken, wie sehr sie mit ihren Glaubensmustern. ihren Ver - und Geboten dein Leben beherrscht haben und sie hinterfragen mit einem: "Ist das, was du mir da die ganze Zeit sagst, wirklich wahr?" Und du wirst erkennen, dass es nicht wahr ist. Vielleicht berührt dich da unten eine alte Verletzung und eine Wunde reißt wieder auf, aber du weißt, weil du schon so weit gegangen bist, dass du sie jetzt anschauen kannst, um sie zu verbinden mit deiner eigenen Wundsalbe und nicht der Salbe anderer, die sowieso nie geholfen hat.

Da unten in deiner Tiefe erkennst du was dich wirklich ausmacht, was du wirklich brauchst, was dir wirklich am Herzen liegt und wer der wichtigste Mensch in deinem Leben ist. Ja, du selbst bist das und niemand anderer. Und dann wird dir klar, dass du nicht unendlich viel Zeit hast und dass dir nicht unendlich viel Energie zur Verfügung steht, du erkennst, dass deine Zeit auf der Erde kostbar ist, zu kostbar um sie mit Unwesentlichem zu vertrödeln.

Und wenn du aus der Tiefe aufsteigst wirst du von diesem Moment an Menschen und Dinge meiden, die deine Zeit und deine Energie verschwenden und dir keine Freude bereiten. Da unten hast du die Illusionen von der Wahrheit getrennt, für die einzige Wahrheit die für dich wichtig ist - deine eigene Wahrheit. Und wenn du dich dieser Wahrheit stellst spürst du ein wunderbares Gefühl: Du stehst auf festen Grund. Und zum ersten Mal vielleicht bist du dir so nah wie nie zuvor.











1 Kommentar:

  1. Sehr schöner Text, spricht mir aus der Seele.
    Weiter so!!!

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