Montag, 4. Januar 2016

Mir verzeihen, nicht verzeihen zu können

Es gibt Menschen, die tun sich unendlich schwer, einem anderen, der sie tief verletzt hat, zu verzeihen. Ich gehöre zu diesen Menschen, auch wenn ich weiß, wir verzeihen zu allererst um unserer selbst willen, unseres eigenen inneren Friedens willen, denn verzeihen wir nicht, schleppen wir auf diese Weise schweren seelischen Ballast mit uns herum, der uns am Leben hindert. Die Fähigkeit zu Verzeihen ist wichtig um nicht in Groll und Bitterkeit stecken zu blieben, um Altes, was  schmerzhaft war, abzuschließen um sich dann dem Leben in seiner ganzen Fülle und Schönheit erneut anzuvertrauen. Wir sollten wirklich verzeihen können, um alte Verletzungen hinter uns lassen. Ich weiß das sehr gut. Aber ich weiß auch sehr gut, dass wir nicht wollen wollen können, wenn etwas in uns es einfach nicht kann.

Nicht zu verzeihen lässt die Wunde, die man uns zugefügt hat mitunter ein Leben lang offen schwelen. Sie kann nicht heilen und verursacht immer wieder neuen Schmerz, auch wenn die Verletzung schon lange Zeit zurückliegt.

Wenn wir tief verletzt wurden ist das in der Regel immer durch einen Menschen geschehen für den wir tiefe Gefühle haben, denn nur deshalb kann er uns auch tief verletzen. Wir haben ihm all unsere Schwachstellen, all unsere Ängste und unsere alten Wunden gezeigt, wir haben uns nackt gemacht, innen wie außen, wir haben uns berührbar gemacht, weit und offen. Und dann sticht uns genau dieser Mensch, dem wir all das offenbart haben, ein Messer ins Herz. Wie wollen wir da verzeihen können, auch wenn wir wissen -  nur so finden wir unseren Seelenfrieden wieder? Wahr ist, dieser Friede ist zerstört, da ist ein Schnitt, der spürbar mitten durchs Herz geht. Und manchmal ist nicht nur der Seelenfrieden getroffen, manchmal ist ein wesentlicher Wert zerstört, manchmal sogar ein Weltbild, an das wir fest glaubten. Diese Art von Erschütterungen schlagen tiefe Wunden und viele von uns tragen sie. Mit oder ohne Verzeihen – sie sind da.

Diese Erschütterungen finden in uns selbst statt, in dem, was uns ausmacht, dort, wo kein anderer so fühlt wie wir fühlen und sie reichen bis in unser tiefstes Wesen, das sogar uns selbst in seiner Ganzheit unbegreiflich ist. 

Ich weiß auch, dass es uns dann am schwersten fällt einem anderen zu verzeihen, wenn wir uns selbst nicht verzeihen können, dass wir uns haben verletzen lassen. Denn wer kann uns verletzen wenn wir es nicht zulassen? Aber wir haben es zugelassen und das ist der Punkt, weil wir uns geöffnet haben, uns berührbar gemacht haben und damit haben wir es zugelassen. 


Zum Verzeihen gehört auch ein: „Es tut mir leid, dass ich dir weh getan habe“, von dem, der uns verletzt hat. Auch wenn er das Ausmaß unserer Verletzung nicht versteht. Mit seiner Entschuldigung nimmt er uns wahr, er nimmt uns ernst in unserem Schmerz. Glaubt dieser andere aber er sei im Recht mit dem was er getan hat, wie soll er sich dann entschuldigen, auch wenn er weiß, wie verletzt wir sind? Nicht jeder ist barmherzig. Manch einer beharrt darauf nichts Verletzendes getan zu haben, auch wenn er sieht, dass das, was er getan hat, für uns eine Welt zusammenbrechen lässt. Und damit fügt er uns noch eine weitere Verletzung zu, indem er unsere Gefühle nicht achtet.

Wie einem solchen Menschen verzeihen? 
Ich kann das nicht. Und damit bin ich nicht in der Opferhaltung sondern in meinem wahrhaftigen Gefühl, das, würde ich gegen mein nicht Können verzeihen, nicht einmal ich selbst ernst nehmen würde. Ich will verzeihen, ich glaube wir alle wollen verzeihen, weil wir instinktiv wissen, dass gut für uns ist, und doch ist es möglich - einmal im Leben bekommen wir es nicht hin mit dem Verzeihen. Und dann kommt das, was es noch schlimmer macht: Wir werfen uns selbst vor, dass wir dessen nicht fähig sind. Wir halten uns für einen schlechten Menschen, wir zweifeln an uns selbst, weil wir es doch besser wissen und besser wollen als wir können. Wir führen einen inneren Kampf gegen uns selbst und der geht niemals gut aus, sagt die Erfahrung. 


Das ist nicht hilfreich, das ist gar nicht gut für uns und es macht auch gar nichts besser. Nun, vielleicht ist es dann an der Zeit Ja zu sagen. Ja dazu, dass wir nicht können. Ja dazu zu sagen, dass wir in diesem Moment nicht verzeihen können und vielleicht auch niemals. Und dieses Ja bedeutet: Mir zu verzeihen, nicht verzeihen zu können. Dieses Ja öffnet Türen zu einem liebevolleren Umgang mit unserem Schmerz. Solange wir aber mit uns selbst kämpfen und es uns übel nehmen, nicht verzeihen zu können, führen wir einen Kampf, den wir nicht gewinnen können.



Heilung geschieht
durch Berührung mit der
eigenen Wahrheit, durch
körperliches und seelisches
In-Fühlung-Treten mit dem,
was schmerzt und stört.


Peter Schellenbaum




3 Kommentare:

  1. Das ist so schlüssig und wahr! Meine Erfahrung in diesem Punkt war, dass indem ich mir erlaubte (noch) nicht verzeihen zu können sich nach und nach eine tiefe Akzeptanz für die Unvollkommenheiten in unseren Beziehungen in mir ausbreitete und eines Tages stellte ich fest, dass es eben so war wie es war und dass es keine Rolle mehr spielte, ob oder wie die Beziehung zum anderen in Zukunft sein könnte oder sein würde. Ich war mit mir mehr in Frieden und das machte so viel Kraft frei, die ich wieder nutzen konnte, um ganz bei mir (ehrlich und authentisch zu sein. Das bewirkte mehr Frieden in mir selbst und machte mich freier. Frieden mit anderen in allen Punkten ist nicht immer möglich, man muss warten, bis der andere den Schritt schafft (oder auch nie schafft). Ich plädiere für gar nicht warten, sondern es einfach zu lassen. Wenn die Beziehung noch Substanz hat, wird sich verzeihen einstellen können, wenn nicht, dann wofür Energie hineinschießen?! Verlorener Aufwand mit der Garantie für Frustrationen ohne Ende. Ist auch so ein Anspruch: Verzeihen müssen. Gar nichts muss man. Nur mit sich selbst ehrlich sein (muss auch nicht, hilft aber ungemein) :-)

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  2. :-) mit sich selbst ehrlich sein. muss nicht, da hast du recht, ich aber kann und will nicht anders.
    danke elisabeth für deine worte.

    angelika

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  3. Ich habe grosse Mühe mit dem Konzept des "Verzeihens". Was ist damit gemeint? So tun, als wäre nichts geschehen? Negieren? Ich glaube kaum, dass so eine Realitätsverzerrung heilsam ist. Oder soll ich mich zwingen, keine Wut mehr zu fühlen? Ist es denn heilsam, die Gefühle zu unterdrücken? Ich habe wieder und wieder verziehen. Und bin immer respektloser behandelt worden. Weil die Taten meiner Peiniger ohne Konsequenzen blieben - dank meiner Vergebung. Was erhoffen sich gewisse Leute von der Vergebung? Dass der Täter ein Tränchen verdrückt vor Rührung ob dieser Gnade und sich schleunigst Besserung schwört? So ticken leider die wenigsten Menschen. Ich habe unlängst einen Artikel eines Forensikers gelesen: Die wenigsten Täter bereuen ihre Tat - es sind nur die Konsequenzen, welche sie abstossen:

    http://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/forensiker-josef-sachs-nur-wenige-taeter-bereuen-ihre-tat-129496301

    Durch Vergebung wird den Tätern die Möglichkeit zur Schuld-Einsicht erschwert - weil dann die Konsequenzen ausbleiben.
    Nein! Meiner Meinung nach muss man nicht verzeihen. Vergebung ist vielleicht unter gewissen Umständen eine Möglichkeit - aber keineswegs ein Allheimittel.

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