Mittwoch, 27. Dezember 2017

Aus der Praxis – Traumatisierte sind wie tickende Zeitbomben.

Traumatisierte sind wie tickende Zeitbomben. Wenn sie getriggert werden, gehen sie hoch. Und keiner versteht warum.

Warum ist das so?
Ein Trauma ist eine lebensbedrohende Situation, in der das Gehirn alle unnötigen Wahrnehmungen und Handlungen stilllegt und die wichtigen Handlungen, wie Fluchtreflex oder Erstarren auslöst. Es schaltet automatisch von gezieltem Verhalten auf instinktives Verhalten.
Bei diesem Vorgang werden Adrenalin und Noradrenalin, Kortisol sowie Endorphin, die sogenannten Stresshormone ausgeschüttet. Umgebungsreize wie Gerüche, Umgebung oder Geräusche werden nicht mehr bewusst wahrgenommen, aber dennoch gespeichert. Alle Sinne konzentrieren sich auf die Bedrohung.

Ein Trauma verändert das Gehirn.
Beim Traumatischen Erleben ist unser Gehirn komplett überfordert. Die Erlebnisse können nicht normal verarbeitet werden, sondern werden ungeordnet im Gehirn gespeichert.
Drei Gehirnregionen sind besonders betroffen:
1. Der Hippocampus: Hier wird entschieden was im Langzeitgedächtnis aufgenommen wird.
2. Der Präfrontale Cortex: Er schätzt Gefahren ein.
3. Die Amygdala: Sie fungiert als emotionale Alarmanlage.
Beim Traumaerleben gelangen die erlebten Eindrücke ungefiltert in die Amygdala, der Schutzwall aus Hippocampus und Präfrontalem Cortex wird quasi übergangen. Bei großem Stress wird die Hippokampus Aktivität durch eine längere Kortisolausschüttung unterdrückt, während die Amygdala jedoch unbeeinflusst bleibt.

Die Folge: Die Erinnerung an das Erlebte wird dort gespeichert. Dazu gehören alle Gefühle, Bilder und körperliche Reaktionen. Das vollständige Zuordnen des Erlebten im Zusammenhang mit der äußeren Realität kann im Hippocampus jedoch nicht stattfinden. Es entsteht eine sogenannte „hippocampale Amnesie“, d.h. es bestehen keine konkrten Erinnerungen an die reale Situation.

Die Amygdala wird durch das Trauma in seiner Funktion beeinträchtigt und verliert seine Dämpfungsfunktion bei Stress. Das Gehirn ist auf Dauerbereitschaft gestellt um vor einem vermeintlichen, erneuten Trauma zu schützen.

Wird das Trauma nicht verarbeitet, überwiegt das emotionale Gedächtnis der Amygdala im Vergleich zum autobiografischen Gedächtnis des Hippocampus. Es besteht ein Nebeneinander von intensiven Erinnerungen einerseits und Erinnerungslücken andererseits. Die unvollständigen, weil noch nicht zuordenbaren Erinnerungen entwickeln ein Eigenleben, das sich dem Bewusstsein entzieht. Dadurch können Zahlreiche Reize, die an das Trauma erinnern, als Trigger fungieren und bei Betroffenen intensive emotionale Reaktionen hervorrufen.
Die Folge: Alles was den Betroffenen an das Trauma erinnern oder zu einer erneuten Traumatisierung führen können, wird vermieden. Das Vermeiden ist der Versuch sich selbst zu schützen und die Angst zu kontrollieren.

Wenn das Trauma, in Form von Bildern, Gerüchen und Gefühlen, getriggert wird.
Während des Traumas hat das Gehirn wie gesagt auf Notbetrieb umgeschaltet, um das physische und psychische Überleben sicher zu stellen. Dennoch hat es alle Sinneseindrücke abgespeichert. Diese Abspaltung war während des Traumas notwendig um emotional zu überleben. Durch die fehlende Verarbeitung dieser Erinnerungen kommt es dazu, dass Gefühle, Bilder, Gerüche und Geräusche aus der traumatischen Situation in das jetzige Erleben zurückkommen. Sie versetzen den Betroffenen in eine Art Trance nach hinten in die traumatische Situation: Gefühlt befindet er sich im Jetzt wieder im Traumaerleben. Diese Erinnerungen nennt man Intrusionen. Der Betroffene ist sich zwar bewusst, dass er sich nicht in der Trauma-Situation befindet, dennoch nimmt er die Erinnerungen wahr, als ob er sie erneut erlebt. Bei schweren Traumata geht die Selbstregulationsfähigkeit verloren. Der traumatisierte Mensch ist, solange das Trauma nicht geheilt ist, immer in Habachtstellung. Er reagiert für andere oft völlig unverhältnismäßig und über die Maßen emotional (Angst, Panik, Wut) extrem auf kleinste Reize, die sein Gehirn als existentielle Bedrohung gespeichert hat.

Einem traumatiserten Menschen zu sagen: „Stell dich nicht so an. Das ist doch alles längst vorbei!“ nützt nichts. Er weiß das selbst, das Gehirn aber kommt diesem Wissen nicht nach.

Sonntag, 24. Dezember 2017

Danke





Wenn ich auf dieses Jahre zurückblicke, was ich immer tue am Morgen des Heiligen Abends, so blicke ich nicht nur auf mein eigenes Lebensjahr, das sich dem Ende zuneigt, ich blicke auch auf ein Jahr mit all den Menschen, die zu mir kamen und mir ihr Vertrauen schenkten. Menschen, denen es nicht gut ging und denen es besser geht durch unsere gemeinsame Zeit und die gemeinsame Arbeit, die uns verbunden hat. Manche von ihnen werden weiter zu mir kommen, weil es noch Einiges zu tun gibt und manche haben sich verabschiedet, weil es ihnen besser geht. Das ist gut. Das ist wunderbar. Das ist ein Geschenk, wenn ich sehe, dass das was getan wurde, wirkt.

"Die Menschen wollen eigentlich nicht geheilt werden. Sie wollen nur Linderung und Trost, denn Heilung ist schmerzhaft", sagte der Psychoanalytiker Anthony de Mello, Gott hab ihn selig, einmal. Ich kenne einige Kollegen, die ob diesen Satzes, mit verhaltener Resignation zustimmend nicken würden. De Mello hat Recht, es soll nicht mehr ganz so weh tun, es soll sich leichter anfühlen im Schweren und es soll Trost sein, damit man sich einrichten kann im Jammertal des eigenen Dasein. Dann lässt es sich wieder eine Weile aushalten, der ganze Irrsinn, der Frust, die unerfüllten Bedürfnisse, der Kummer, der Streit, der Schmerz, diese bodenlose Leere, die mit allem gefüllt wird, nur nicht mit sich selbst und dem, was wirklich von Bedeutung ist. Bis zum nächsten Mal, wenn die Seele wieder schreit: Ich halte das nicht mehr aus, machen Sie was, damit es mir besser geht!
Es soll gut werden der zumindest besser, wenn es schon nicht gut wird von alleine oder es soll mit Hilfe eines anderen, sozusagen gut "gemacht" werden, damit man selber nichts machen muss, schon gar nicht hingucken, denn dann müsste man vielleicht etwas machen und das ist anstrengend. Schmerzhaft könnte das auch werden und Arbeit würde das bedeuten und zwar Arbeit an sich selbst und man hat ja schon genug Arbeit mit allem anderen, nein das tut man sich doch nicht auch noch an.
Und dann sitzen sie da vor ihrem Therapeuten, diese Menschen von denen de Mello spricht. Sie klagen und lügen sich die Tasche voll, bis es oben herausquillt und fühlen sich nicht wirklich gut dabei, aber etwas verändern hieße etwas schaffen, es hieße - die Komfortzone verlassen und losgehen und unbekanntes Gebiet betreten, das keine Garantie verspricht, dass es besser oder gut wird. Das wird es dann auch nicht. Denn, wo der Wille fehlt, da ist kein Weg.

Aber es gibt auch jene, die den Willen haben etwas zu tun, die so mutig sind sich selbst ehrlich anzuschauen, die es wagen sich ins Reich ihrer Schatten zu begeben, die sich in die dunkle Nacht der Seele trauen und sich ihrer Angst, Ihrem Schmerz und ihren Neurosen stellen und ihnen ins Gesicht schauen und daran arbeiten. Das sind die, die meine ganze Liebe und meinen Respekt haben und das sind die, die es schaffen, dass es besser wird oder gar gut in ihrem Leben. Das sind die Menschen, für die ich da bin.

Diesen Menschen möchte ich heute an diesem 24. Dezember 2017 danken.
Ich danke Euch für Euer Vertrauen, das Ihr mir schenkt und ich danke Euch dafür, dass Ihr, indem Ihr den schweren Weg geht Euch selbst zum Besseren hin zu verändern, ein kleines Bisschen in dieser Welt verändert. Ich danke Euch, dass ich Euch dabei begleiten darf.
Jeder von uns, der sich sich selbst zuwendet um das zu heilen, was in ihm unheil ist, heilt ein bisschen etwas in dieser Welt, die so viele Wunden hat, dass sie mir manchmal, in diesen Momenten, wo ich kurz davor bin den Glauben zu verlieren, unheilbar erscheint.
Aber das sind nur Momente. Den Rest der Zeit halte ich fest am Glauben, dass es solange wir das Gleichgewicht halten indem wir die Liebe behalten, noch nichts verloren ist.

Namaste Ihr Lieben und schöne Weihnachten.

Freitag, 22. Dezember 2017

Manchmal




Foto: AW


Und manchmal kommen wir vom Regen in die Traufe.
Manchmal bekommen wir genau das wieder, was wir hinter uns gelassen zu haben glaubten.
Manchmal kehren sie wieder, die gleichen Lektionen, egal wie oft wir sie durchlebt haben.
Manchmal zeigt uns das Leben mit einer schmerzhaften Beharrlichkeit, was wir noch immer nicht gelernt haben.
Manchmal sehen wir es dann und tun wieder so als seien wir blind.
Manchmal sind wir ungelehrige Schüler und kassieren die nächste Tracht Prügel.
Manchmal nützt auch das nichts und wir machen wieder die gleichen Fehler.
Manchmal verstehen wir uns selbst und unsere Blödheit nicht mehr.
Manchmal verurteilen wir uns dafür zum tausendsten Mal und machen es dann doch nicht anders.
Manchmal sind wir verzweifelt über das sich in Endlosschleife Wiederholende.
Manchmal resignieren wir dann.
Manchmal wissen wir nicht mehr was mit uns los ist.
Manchmal wissen wir genau was mit uns los ist und machen es auch nicht besser.
Manchmal sind wir müde von allem was wir über uns wissen und es trotzdem nicht ändern können.
Manchmal sind wir wütend auf uns, weil wir es immer noch nicht besser für uns machen können.
Manchmal sind wir traurig, weil es uns nicht besser gelingt uns von dem zu befreien, was uns schon ein Leben lang verfolgt.
Manchmal kommt dann die Angst, dass wir es niemals schaffen.
Manchmal ist es gut zu sagen: Ich schaffe es noch nicht und das ist in Ordnung so.
Manchmal braucht es eben viel viel Zeit ....

Namsate Ihr Lieben


Freitag, 15. Dezember 2017

Aus der Praxis – Der Wahnsinn der Co-abhängigen





Sarah ist blass, unter ihren schönen Augen liegen dunkle Schatten. Ihre zarten Hände nesteln haltsuchend an dem Kleenex mit dem sie gerade die Tränen getrocknet hat. "Ich verstehe das nicht, immer wieder gerate ich an Männer, die irgendwie kaputt sind, die einen Knacks haben, die anders sind. Ich habe das Gefühl, dass ich die anziehe wie ein Magnet, naja oder sie mich. Ich weiß es nicht. Eine Weile ist alles ganz toll, intensiv und ledenschaftlich und ich denke jedes Mal: So ist es gut, so kann es bleiben. Es bleibt nicht so. Sie weint wieder. Es wird die Hölle, sagt sie. Ich verstehe das nicht. Auf einmal ist es dann vollkommen anders. Es ist schrecklich anders.
Er wird anders.
Er wird zu einem kalten Menschen. Er ruft nicht mehr so oft an, er ist genervt wenn ich ihn dann frage, warum er nicht mehr so oft anruft, wenn wir uns dann ab und zu sehen, viel weniger als am Anfang, meckert er an mir herum, und wenn ich etwas dagegen sage, dann sagt er meine Wahrnehmung sei falsch und dass ich hysterisch sei und aus allem ein Drama mache. Er sei wie immer, ich sei die, die anders ist. Aber ich spüre es doch, er ist einfach nicht mehr liebevoll. Er hackt mich bei allen Gelegenheiten klein, ich weiß gar nicht mehr was richtig oder falsch ist und alles andere scheint ihm plötzlich wichtiger als unsere Beziehung. Ich fange dann an und laufe ihm hinterher wie ein hungriges Hündchen. Das nervt ihn dann noch mehr. Er schreit mich an, beschimpft mich, sagt, ich sei krank und lauter andere verletzende Dinge. Wir streiten nur noch, dann haut er ab, er geht nicht ans Telefon, wenn ich anrufe, er straft mich ab und ich sitze zuhause und habe nur noch Angst ihn zu verlieren. Ich habe eine so große Verlustangst, dass ich vollkommen gelähmt bin. Ich bin nicht mehr ich, ich löse mich förmlich auf. Ich fühle mich unendlich verlassen und bin überzeugt davon, dass ich ohne ihn nicht leben kann. Und dann fühle ich mich auch noch schuldig. Ich schäme mich, dass ich so bin, wie ich dann bin, so hilflos so ohnmächtig, so klein, so abhängig davon ob er da ist oder nicht. Ich frage mich, ob ich er nicht Recht hat und ich alles falsch mache und ihn nerve und zu sehr klammere oder ob ich einfach nicht normal bin. Ich halte das nicht mehr aus, ich weiß nicht mehr wer ich bin. Ich werde wahnsinnig."

Sarah ist nicht die Einzige. Sie ist wie viele Frauen, die immer wieder an den sogenannten Falschen geraten eine Abhängige der Liebe. Genau dieses Verhalten beschreibt sie hier in einer gemeinsamen Sitzung.

Co-abhängig, der Begriff wurde früher für die Partner von Alkoholikern verwendet. Co-abhängig beschreibt einen Menschen, der unfähig ist ein selbstbestimmtes Leben zu leben, weil er die Verantwortung für einen Suchtkranken übernommen hat. Mittlerweile gilt der Begriff für alle Menschen, die sich zum Opfer machen, die sich abhängig von einem Anderen machen, indem sie sich völlig auf den Anderen, meist einen schwachen, seelisch kranken, süchtigen, emotional missbrauchenden, narzisstischen, zwanghaften oder psychopathischen Menschen fixieren, um ihn zu retten. 
Alle Co-abhängigen sind unbewusst fest davon überzeugt, dass sie, wenn sie den Anderen nur genug lieben, versorgen, unterstützen, dazu bringen seine Störung einzusehen und sich professionell helfen zu lassen, damit alles gut wird und die Liebe wunderbar.
Nichts wird wunderbar.
Der Co-abhängige wird wieder und wieder verwundet. Und der, den sie retten wollen, bleibt der, der er ist. Nur sie selbst verändern sich, sie werden zu einem Menschen ohne Form. Sie lösen sich im Anderen auf, sie verlieren sich selbst und die Fähigkeit die Realität als das wahrzunehmen was sie ist - nämlich ein destruktives Beziehungskonstrukt ohne Aussicht auf Heilung, ein rasender Zug in Richtung Selbstaufgabe und Selbstzerstörung.

Sarahs Aussage: "Ich ziehe die Falschen an", stimmt nicht ganz. Sie selbst fühlt sich zu den Falschen hingezogen. Falsch im Sinne von: Nicht gut für sie. Instinktiv spürt sie, dass da einer ist, den sie retten könnte. Unbewusstes erkennt Unbewusstes blind. Die Retterin findet ihr Opfer und wird selbst zum Opfer. Sie wird zum Opfer ihrer Sucht gebraucht zu werden. Diese Sucht hat ihre Wurzeln bei allen co-abhängigen Persönlichkeiten in der Kindheit.

Zurück zu Sarah. Sarahs Vater war ein schwacher, unglücklicher, verbitterter Mann, der unter dem Pantoffel der dominanten Mutter stand. Er war launisch, aggressiv und phasenweise depressiv. Er beklagte sich ständig, keiner konnte ihm etwas Recht machen. Wenn er getrunken hatte wurde er aggressiv und tyrannisierte die Familie mit seinen Wutausbrüchen. Wenn er wieder nüchtern war entschuldigte er sich und war zerknirscht. Sarah konnte tun was sie wollte, es gelang ihr nicht den "armen" Vater glücklich zu machen, geschweige denn seine Liebe zu gewinnen. Er wies sie ab, er ignorierte sie, er demütigte sie, er lobte sie nicht, egal wie gut sie in der Schule war, egal, wieviel Mühe sie sich gab ihm alles Recht zu machen - er sah sie nicht. Er machte ihr Angst.

Wie fühlt sich ein Kind, das so etwas erlebt?
Es ist von der Schwäche und Lieblosigkeit, die ihm begegnet verwirrt und emotional vollkommen überfordert. Es denkt, wenn ich es nur weiter versuche, wird der Papa mich lieben. Es hat Schuldgefühle, glaubt es sei nicht liebenswert und verantwortlich für das Elend des Vaters. Es denkt über sich: Ich bin nicht okay. Es erfährt, dass alle Anstrengungen nur in Eins münden - in Vergeblichkeit. Es fühlt sich ohnmächtig und verlassen. Es sucht Halt und erfährt Zurückweisung. Es sucht Liebe und erfährt emotionalen Missbrauch wie Demütigung, Ignoranz und die Vernichtung seines ganzen Wesens. Diese Wunde sitzt tief. Sie sitzt so tief, dass sie ein Leben lang danach schreit geheilt zu werden.

Sarahs Wunde schreit nach Liebe. Sie schreit nach einer Liebe, die sie niemals erhalten hat, nach einer Liebe von der Sarah nicht einmal weiß wie sie aussieht oder sich anfühlt, denn alles was Sarah für Liebe hält ist das, was sie versucht hat dem Vater zu geben - ihr ganzes Sein, das von seiner Nichtliebe vernichtet wurde. Sarah hat nicht die leisteste Ahnung wer sie ist und was Liebe ist.
Mit jedem Mann, dem Sarah später begegnet, reinszeniert sie zwanghaft was sie für Liebe hält. Die Wahl ihrer Männer wird diktiert vom Drama der Kindheit. Diese Männer sind nichts anderes als Stellvertreter für den lieblosen, schwachen Vater. Ihre Wahl wird diktiert von ihrem unbewussten Bedürfnis das Schuldgefühl dem Vater gegenüber, weil sie ihn nicht retten konnte, zu mindern. Es wird diktiert vom emotionalen Klima, dass sie als Kind erlebt hat und das sich in jeder neuen destruktiven Beziehung wie Heimat anfühlt. Es wird diktiert von Sarahs Erfahrung von Nichtliebe. Es wird diktiert vom Beziehungserleben in der Ursprungsfamilie.

Das klingt absurd, das klingt paradox, das klingt geradezu nach Wahnsinn. Und so fühlt es sich für Sarah auch an, wahnsinnig. Denn welcher normale Mensch würde sich so einen Albtraum ein weiteres Mal antun, wenn er ihm endlich entkommen ist?
Alle Co-abhängigen tun das. Egal wie intelligent, wie erfolgreich, wie klug sie sind, egal ob sie wissen, dass das, was sie da leben, zerstörerisch ist und falsch und ungut für ihr ganzes Leben ist, sie können nicht anders. Sie sitzen in der Falle und obwohl sie es wissen - sie kommen da alleine nicht raus.

Viele Menschen begreifen das nicht, sie finden es unfassbar, dass ein Mensch das traumatische Erleben seiner Kindheit in Endlosschleife wiederholt. Aber der Trieb das Erlebte, Vertraute zu wiederholen, ist uns allen gleich. Man nennt es Wiederholungszwang: Das Vertraute gibt uns ein Gefühl von Heimat, egal wie schmerzlich und grausam es dort war. Es vermittelt uns das Gefühl von Sicherheit, eben weil es vertraut ist. So befremdlich es ist: Das Kind von damals wiederholt das alte Leid im unbewussten Versuch es dieses Mal besser zu machen: Nämlich den Vater zu retten und den Kampf gegen die eigene Ohmacht, gegen die eigene Scham und die eigenen Schuldgefühle zu gewinnen. Der Kampf war nie zu gewinnen und er ist nicht zu gewinnen. Er endet wie damals im Verlust des eigenen Selbst. Um dieses Selbst zurückzugewinnen müssen Co-abhängige lange kämpfen, aber dieses Mal für sich selbst und nicht für andere, die ihre Rettung in Wahrheit nicht brauchen. Sie müssen sich selbst retten.

Zurück zu Sarah. Langsam lernt sie, das Geben nicht sich Aufgeben bedeutet und Liebe nicht Schmerz und Verletzung.
Wir arbeiten weiter daran.


www.wende-praxis.de








Montag, 11. Dezember 2017

Aus der Praxis – Der innere Kritiker und der innere Freund




Foto: AW

Der innere Kritker meckert an dir herum
bewertet und be- und verurteilt dich
macht dir Vorwürfe
beschimpft dich wegen etwas, das du falsch gemacht hast
wertet dich ab
lacht dich aus
macht dich klein
macht dich unsicher
treibt dich an
schreit nach Perfektionismus
macht dich platt
brennt dich aus
sagt dir: du bist nicht okay.
 
Der innere Freund hat einen liebevollen Ton
versteht dich
macht dir Komplimente
tröstet dich, wenn du einen Fehler gemacht hast
sagt dir wie wertvoll und liebenswert du bist
lacht dich an
weiß um deine wahre Größe
schenkt dir Sicherheit und Selbstvertrauen
hat Geduld mit dir
nimmt dich ernst
weiß, dass es das Perfekte nicht gibt
schenkt dir Gelassenheit
geht fürsorglich mit dir um
sagt dir: Du bist liebenswert.

Wann immer sich der innere Kritiker meldet hörst du dieses: Du bist nicht okay.
Daran erkennst du ihn.
Wenn du ihn erkennst, kannst du wählen ihm weiter zuzuhören oder dir deinen inneren Freund zur Verstärkung holen um den Kritiker in seine Schranken zu weisen.
Dein Selbstmitgefühl, dein Selbstwertgefühl und deine Selbstliebe werden wachsen, je öfter du deinem inneren Freund vertraust.

 Namaste Ihr Lieben


www.wende-praxis.de

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Ein Anfang



Je mehr Wertschätzung wir aus uns selbst heraus für uns selbst empfinden, desto unabhängier werden wir von dem was andere von uns denken könnten, desto unabhängiger werden wir von der Umwelt, desto weniger fühlen wir uns gezwungen etwas darzustellen oder beweisen zu müssen, desto unabhängiger werden wir davon andere manipulieren oder benutzen zu wollen. Desto unabhängiger werden wir davon etwas von Anderen zu erwarten, was wir uns selbst nicht geben können.
Aber woher diese Wertschätzung nehmen, wenn wir sie nicht fühlen?
Indem wir ohne den alten Schleier dessen, was uns den wertschätzenden Blick auf uns selbst verhüllt, mit klarem Blick auf den Menschen schauen, der wir sind. Indem wir auf das schauen, was wir Tag für Tag gut machen und nicht auf das, was wir noch besser machen könnten.
Das könnte ein Anfang sein!

Namaste Ihr Lieben

Sonntag, 3. Dezember 2017

Hinter der Mauer



Foto: Aw

Er tut so als würde ihm nichts etwas ausmachen. Er tut auch so, wenn er mir gegenüber sitzt in unseren Stunden. Er ist stark und autonom. Er braucht niemanden. Die Anderen sind ihm sogar oft lästig. Manchmal regen sie ihn auf. Besonders, die, die ewig nur rumsitzen und jammern und nichts ändern wollen. Das regt ihn richtig auf, aber auch immer weniger. "Sollen die doch machen was sie wollen", meint er und dass er sich nicht mehr um andere kümmert. Er leistet sich Empathie nicht mehr. Er hat schlechte Erfahrungen gemacht mit seiner Empathie. Sie hat nichts geholfen, damals als er versuchte sie zu retten. Er meint die Frau, die er liebte und die sich selbst zerstörte mit dem Alkohol, von dem sie nicht lassen konnte. Seit damals hat eine Mauer um sich gezogen. Ich höre zu und denke, ich möchte einen Hammer und einen Meisel nehmen und die Mauer langsam und vorsichtig herunterklopfen, um ihn für sich selbst wieder erreichbar zu machen und für die Frau mit der er jetzt zusammen ist. Ich sehe den Mann hinter der Mauer, der fühlen will und mitfühlen will, der lieben und geliebt werden will und es sich selbst nicht mehr erlaubt.

Ich sage ihm, dass ich die Mauer und den Mann hinter der Mauer fühlen kann. Er wehrt energisch ab. Ihm gehe es gut so wie es ist. "Ich will mich nicht mehr ohnmächtig fühlen. Ich will nicht mehr so viel fühlen. Empathie macht verletztbar", sagt er. Ich spüre wie er versucht seine Unsicherheit wegzulächeln. "Ich habe mein Leben im Griff. Alles funktioniert. Alles gut. Naja, ich werde alt, darüber mache mir schon manchmal Gedanken, was sein wird, später." Aber er habe vorgesorgt und jetzt habe er ja auch genug Arbeit. Die sei ihm das Wichtigste. "Die Arbeit", sagt er, die beansprucht den ganzen Mann, da ist keine Zeit für etwas anderes". Die Beziehung sei ihm auch langsam zu anstrengend. Er sei lieber allein am Abend. Er gehe immer mehr in Distanz zu seiner Partnerin. "Sie merkt das schon, aber sie beklagt sich nicht", sagt er.  Er grinst verlegen. "Nein, ich will mich nicht mehr einlassen. Dass das nichts bringt, habe ich gelernt. Also wenn ich etwas in meinem Leben gelernt habe, dann das", kommt es im Brustton der Überzeugung.
Er mauert, auch hier in meiner Gegenwart mauert er. Ich sehe wie er mehr und mehr hinter der Mauer verschwindet. "Wenn alles gut ist, warum kommen sie dann zu mir ?", frage ich ihn.
"Na ja", antwortet er, "da ist diese Angst, sie kommt wenn ich einschlafen will, es ist als lege sich ein schwerer Stein auf meine Brust. Das Atmen fällt mir dann schwer und der Schweiß fließt mir aus allen Poren. Ich bekomme richtig Panik. Wenn ich dann endlich einschlafe habe ich Albträume. Am Morgen fühle ich mich nie ausgeschlafen."
"Was macht Ihnen Angst?", frage ich ihn.
"Das ist ja das Problem, ich weiß es nicht", antwortet er.
Ich denke an die Mauer, die ihn von allen trennt, außer vor der Angst. Sie tut ihm nicht gut, die Mauer, auch wenn er glaubt, sie sei sein Schutzschild gegen das Verletztwerden, das er meint niemals mehr aushalten zu können. Sie ist es nicht.
"Die Angst lässt sich nicht einmauern", sage ich und dass es einen Grund gibt, dass sie da ist, weil sie ihm etwas mitteilen will.
"Aber ich weiß nicht was. Sagen sie es mir", bittet er mich.
"Es nützt ihnen nichts, wenn ich es ihnen sage", erwidere ich.
"Aber, ich komme nicht drauf, also bitte sagen sie es mir, sie wissen es doch", sagt er.
"Es macht keinen Sinn, wenn ich es ihnen sage, es ist ihre Angst, die zu ihnen spricht. Ich würde nur vermuten können. Das ist nicht hilfreich", antworte ich.
Er schweigt, missmutig. Eine Weile ist es still.
Ich warte.
"Na ja, ist nicht schön so gar nichts mehr fühlen zu wollen. Und so viel Lebenszeit bleibt mir ja auch nicht mehr."
"Ja", antworte ich, "das will Ihnen ihre Angst sagen."