Donnerstag, 1. Februar 2018

Aus der Praxis – Die Narzisstische Krise


Malerei. A. Wende

Narzissmus ist heutzutage in aller Munde. Mein Eindruck ist, es ist das psychologische Modewort der Zeit. Und es ist etwas dran, denn immer mehr Menschen zeigen narzisstische Verhaltensweisen. Aber ist deshalb jeder gleich ein Narziss? Und was ist denn eigentlich ein Narziss?

Die Fachliteratur beschreibt diesen wie folgt:
Zentrales Symptom der narzisstischen Neurose ist ein labiles Selbstwertgefühl.
Zum zentralen Selbsterleben des Narzissten gehört ein chronisches Gefühl der inneren Leere und Langeweile. Die führt zu einem ausgeprägten Hunger nach Reizen. Nicht selten mündet dieser in Süchte in  Form von Drogen, Alkohol, Sexsucht, Kaufsucht, Botoxsucht usw.
Narzissten sind selbstzentriert und abhängig von der Bewunderung durch andere. Es herrschen Fantasien von Grandiosität, während alles was das aufgeblähte Selbstbild und den Glauben etwas Besonderes zu sein, das Bewunderung verdient, infrage stellt, vermieden wird. Dies geschieht unterbewusst um das Gefühl der eigenen Besonderheit nicht zu erschüttern.
Narzissten leiden unter starkem Neid.
Ihr Verhalten ist von Gier und ausbeuterischen Tendenzen geprägt. Sie haben überzogen hohe Ansprüche und Erwartungen an andere, begegnen diesen aber mit offener oder innere Missachtung und Entwertung, während ihr Bedürfnis, Bewunderung von ihnen zu erlangen, unvermindert stark ist.
Ihr Einfühlungsvermögen sowie ihre empathischen Fähigkeiten sind begrenzt oder nicht vorhanden. Was der Narziss für Empathie hält ist lediglich die Projektion des Eigenen auf den Anderen, der als reiner Spiegel des eigenen Ichs fungiert.
Das emotionales Erleben ist die meiste Zeit leer und schal.
Die Fähigkeit zur Trauer ist eingeschränkt. Sie trauern nicht um andere sondern um den Verlust, der sie selbst und den Nutzen, den sie vom anderen hatten, betrifft.
Das Selbstwertsystem des Narzissten wird von starken Stimmungsschwankungen beherscht.
Zur Selbstkritik und angemessener Selbstreflexion sind sie kaum fähig.
Auffällig ist die Tendenz zu Scham und Schuldgefühlen.
Ihre Werte muten kindlich an.
Ihr Sein wird vom Haben wollen bestimmt.
Mangelndes Verantwortungsbewusstsein in Beziehungen, fehlende Rücksichtnahme, Entwertung anderer, ich-syntone Aggression (gegen das eigene Selbst und gegen andere) sowie paranoide Tendenzen sind Syndrom des malignen Narzissmus. In Situationen, die von großem Stress und Regression geprägt sind zeigen sich vermehrt paranoide Entwicklungen und kurze psychotische Episoden.
 
Die narzisstische Krise
Narzissten entwickeln erst dann hohen Leidensdruck, wenn psychische oder physische Symptome sich manifestieren. Auslöser sind z. B. Altern, Jobverlust, Karriereknick oder emotionale Belastungen durch Krisen in der Beziehung oder Trennung. Wenn die äußere Stabilität verloren geht schwankt das labile intrapsychische System und es kommt zur narzisstischen Krise. 
Der Psychotherapeut und Buchautor Hans-Joachim Maaz beschreibt das in einem Interview sehr treffend: „Krank ist man, wenn die bisherigen Möglichkeiten der Kompensation nicht mehr ausreichen, wenn also der innere Bestätigungsmangel nicht mehr durch äußere Dinge wie Geld, Konsum, Besitz oder Macht ausgeglichen werden kann. Die Grenze ist fließend. Ich frage immer zuerst: Woran leidest du? Wenn jemand sagt: Ich bin nicht zufrieden, ich kann mich nicht mehr mit Äußerlichkeiten befriedigen, wenn also sämtliche Möglichkeiten der gesunden narzisstischen Kompensation wegfallen, ist der Bogen überspannt. Das passiert oft bei bestimmten Belastungssituationen im Leben: bei einer Trennung, wenn man älter und gebrechlicher wird, wenn man arbeitslos wird. Man kann das innerliche Defizit aber immer nur ein bisschen aufpeppen und nie ganz ersetzen. Da denkt man: Ich muss mich gut kleiden, ich muss gut aussehen, aber weil nichts mehr genug ist, weil es immer mehr sein muss, kommt es zum Diätwahn, Schlankheitswahn, Fitnesswahn, Kosmetikwahn, Botoxwahn und so weiter.“
 
In der narzisstischen Krise versagen alle Kompensationsmittel. 
Es kommt zu dauerhaften Gefühlen von innerer Leere und Sinnlosigkeit. Hinzu kommt ein ausgeprägtes Gefühl der Wertlosigkeit und Unsicherheit. Betroffene kommen zur Überzeugung, nichts in sich zu haben, nicht zu haben und nichts zu sein. Das Gefühl der inneren Leere sowie die Unfähigkeit Freude oder Glück zu empfinden, wird zunehmend als quälend erlebt. Die Kränkbarkeit sowie die Ichbezogenheit nehmen zu. Die typische Haltung der von einer narzisstischen Neurose Betroffenen ist die Beziehungslosigkeit anderen Menschen gegenüber, sie sehen nur noch sich selbst, sie drehen sich nur noch um sich selbst und verlieren mehr und mehr den emotionalen Kontakt zu anderen Menschen sowie den Bezug zur eigenen Lebensrealität. Sie können nichts mehr wertschätzen und sind chronisch unzufrieden. Je intensiver die Krise, desto höher und unrealistischer werden die übersteigerten Ansprüche an sich selbst. Bei Männern in Bezug auf Erfolg und Macht, bei Frauen in Bezug auf das Aussehen und die Attraktivität der körperlichen Erscheinung. Bleibt zudem die Anerkennung und die Bewunderung von Außen aus, die der Narziss als Lebenselexier verzweifelt braucht, mündet die narzisstische Neurose in Antriebslosigkeit und Entscheidungslosigkeit, in schweren Fällen in ein Erschöpfungssyndrom oder in eine Depression. Auf der somatischen Ebene kommt es  zu Schlafstörungen, Appetitlosigkeit,  Magen- Darmstörungen, Herzsymptomatiken, sowie zu Störungen in der Sexualität bis hin zu Libidoverlust. Auch selbstzerstörerische der selbstverletzende Tendenzen sind möglich. Die Betroffenen sehen jedoch auch hier nicht den eigenen Anteil, sondern machen die äußeren Umstände für ihr Leid verantwortlich. 

Die Behandlung des Narzissmus.
Sie ist ein schweres Unterfangen. Warum? Der Narziss zeigt zum einen kaum oder nur wenig Einsicht in sein inneres Drama, zum anderen tritt an die Stelle gefühlsmäßigen Erlebens und ehrlicher Selbstreflexion der Versuch der Selbstanalyse. Eine Integration der therapeutischen Interventionen wird beharrlich verweigert, Übungen und Hilfen zur Verhaltensänderung werden nicht umgesetzt. Der Therapeut wird als entweder Klagemauer oder als „Erklärmaschine“ benutzt. Er ist schuld daran, wenn es dem Klienten nicht besser geht. Auch in der therapeutischen Beziehung kommt es zu der für den Narzissten typischen Abwertung des anderen, in diesem Falle des Helfers.
Narzissten sind als Klienten chronisch enttäuscht. Der narzisstische Klient versucht den Therapeuten unbewusst dazu zu bringen immer überzeugend und großartig zu sein, ebenso großartig wie er sich selbst empfindet, ohne jedoch größer sein zu dürfen als er selbst, denn das wiederum löst dann Neid aus. Die Arbeit mit einem Narzissten hat daher oft die Qualität der ersten Stunde. Narzissten verwerfen alles was sie lernen können.

In diesem Falle gilt tragischerweise der Spruch: Der Lehrer ist so gut und so schlecht wie sein Schüler.



Quellen: Kernberg: Liebe und Aggression, Hans-Joachim Maaz, Interview



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